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Gesundheit

„Zuckerkrankheit“: Diabetes - was ist das eigentlich?

IMAGE im Gespräch mit Oberarzt Dr. Johannes Lang, Evangelisches Krankenhaus Witten.

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Oberarzt Dr. Johannes Lang. Foto: EvK Witten

Dr. Johannes Lang ist Facharzt für Innere Medizin, in Weiterbildung zum Diabetologen (DDG) und Oberarzt am Ev. Krankenhaus Witten, ein Unternehmen im Ev. Verbund Augusta Ruhr (EVA Ruhr). In Deutschland leben etwa sieben bis acht Millionen Menschen mit Diabetes mellitus. Diabetes mellitus ist der Sammelbegriff für vielfältige Störungen des menschlichen Stoffwechsels, deren Hauptmerkmal ein gestörter Zuckerstoffwechsel ist, ausgehend von einem absoluten oder relativen Insulinmangel. Untherapiert geht die Erkrankung mit überhöhten Zuckerwerten einher (Hyperglykämie). Daher spricht man auch von der „Zuckerkrankheit“. Diese Störungen des Stoffwechsels können gravierende Folgen haben. IMAGE hat mit Dr. Johannes Lang über Diabetes mellitus, die Möglichkeiten der Therapie und die Prävention gesprochen.

IMAGE: Was versteht man unter Diabetes mellitus? 
LANG: Diabetes mellitus ist der Sammelbegriff für verschiedene Stoffwechselerkrankungen. Mittlerweile werden fünf verschiedene Typen unterschieden. Gemeinsam haben sie, dass das Insulin, ein lebensnotwendiges Hormon für den Zuckerstoffwechsel, in absoluter oder relativer Menge erniedrigt ist. 
Der Diabetes mellitus Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung. Beim Typ-1-Diabetes produzieren die Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse zu wenig Insulin, es liegt ein absoluter Insulinmangel vor. Menschen mit einem Diabetes mellitus Typ 1 müssen lebenslänglich Insulin spritzen und die Insulindosis immer wieder anpassen, um die Blutzuckerwerte möglichst stabil und normal einzustellen. Der Typ-1-Diabetes tritt vornehmlich bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf. Der Diabetes mellitus Typ 2 ist deutlich häufiger. Diese Form hat auch eine genetische Komponente, hängt aber v.a. mit unserem Lebensstil zusammen und tritt im höheren Alter auf. Leider erkranken aber auch immer mehr Kinder aufgrund von Übergewicht an Diabetes Typ 2. Es kommt, vereinfacht gesagt, durch falsche Ernährung und zu wenig Bewegung zu einem dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegel, zu einer fortschreitenden Insulinresistenz der Zielzellen und einem daraus resultierenden relativen Insulinmangel.

IMAGE: Wie wird die Diagnose gestellt?
LANG: Bei uns wird bei jeder Aufnahme der Blutzucker überprüft. Bei bekanntem, gut eingestelltem Diabetes wird die bisherige Therapie fortgesetzt oder der Aufnahmediagnose entsprechend angepasst. Bei entgleisten Blutzuckerwerten oder Erstdiagnose wird das diabetologische Team hinzugezogen. Im stationären Verlauf wird täglich der Blutzucker gemessen und wir kontrollieren mindestens einmal den Langzeitzucker-Wert HbA1c. Dieser sollte unter 5,7 Prozent liegen, ist aber auch altersabhängig. Wir erkennen an diesem Wert die Blutzuckereinstellung der letzten acht bis 12 Wochen. Sollten wir unsicher bezüglich des Diabetes-Typs sein, können wir auch noch bestimmte Antikörper zur Diagnosestellung bestimmen.

IMAGE: Ein Diabetes muss also in jedem Fall behandelt werden?
LANG: Ja, unbedingt. Ein Mensch mit Diabetes mellitus Typ 1 muss sofort Insulin erhalten. Und eine unbehandelte Typ-2 Erkrankung vergleiche ich gerne mit fortgesetztem Rauchen: man merkt lange nicht, welchen Schaden man dem Körper zufügt – und wenn die ersten Wehwehchen kommen, ist „das Kind meist schon in den Brunnen gefallen“. Ein hoher Blutzucker schädigt Blutgefäße und Nerven. Es kommt zu Folgeerkrankungen an diversen Organen. Es drohen Erblindung, Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Nierenversagen. Nervenfunktionen fallen aus, Gangunsicherheit, Stürze und Amputationen sind die Folge. Ein ganz besonderes Augenmerk sollte der Patient auf seine Füße legen. Der „diabetische Fuß“ ist ein ganz großes Problem. Auf der anderen Seite ist es wichtig, eine Unterzuckerung (Hypoglykämien) zu vermeiden. 
Wir wissen heute, dass Hypoglykämien, gerade bei älteren Patienten, das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen erheblich erhöhen. Ebenso das Infektionsrisiko. Deshalb ist eine gute Diabetesschulung von großer Bedeutung, um zu wissen, worauf es ankommt.

IMAGE: Kann man selbst etwas tun, um Diabetes zu vermeiden? 
LANG: Oh ja! Die Ernährungsweise, das Bewegungsverhalten und der Umgang mit Stress spielen oft eine entscheidende Rolle, ob man an einem Typ-2-Diabetes erkrankt oder nicht. Der Abbau von Übergewicht oder am besten seine Vermeidung ist elementar. Das kann Treppensteigen statt Aufzug sein oder Spazieren statt Fernsehen. Jeder Schritt zählt. 
Der Ernährung kommt ebenfalls eine besondere Bedeutung zu. Grundsätzlich gilt: im Durchschnitt nicht mehr Kalorien aufnehmen, als man verbraucht. Wir leben in einer Überflussgesellschaft. Uns ist häufig gar nicht mehr bewusst, was wir essen und wie viel Energie dieses Essen hat. Und sich damit zu beschäftigen ist wichtig. Mehr Gemüse, Salat und Proteine wären gut. Wir haben in Deutschland die Angewohnheit zu viele Kohlenhydrate zu essen. Uns geht häufig nichts über unsere Brot- und Brötchenkultur, mir inklusive. Meine Frau ist Bäckermeisterin und mir fällt es schwer an frischem Brot vorbeizugehen, aber man sollte auf die Mengen achten. 
Verzichten sollten wir alle auch vermehrt auf Genussgifte – in erster Linie auf Alkohol und Rauchen. Wer das Rauchen aufgibt, senkt sein Risiko für Typ-2-Diabetes um 30 bis 50 Prozent. Limonade, Cola und Fruchtsäfte sind flüssige Zuckerberge und treiben Blutzucker- und Insulinspiegel ebenfalls in die Höhe, was nicht nur zu Übergewicht, sondern auch eine Insulin-Resistenz fördert und zu Diabetes führen kann. Die süßstoffhaltigen Light-Versionen sind übrigens auch nicht gesünder. Am besten ist Wasser, gerne auch mal Kaffee oder Tee. 
Kommen erhöhte Zuckerwerte, Bluthochdruck und eine Fettstoffwechselstörung zusammen, erhöht sich das Risiko für einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder ein Nierenversagen übrigens um das Sechs- bis Zehnfache! 
Wichtig sind auch guter Schlaf und Stressreduktion. Stresshormone lassen den Blutzuckerspiegel ansteigen. Da können Sport und Entspannungstechniken helfen. Übrigens gelten diese Hinweise auch für Diabetiker: Studien zeigen, dass etwa vierzig bis sechzig Prozent der Menschen mit Typ-2-Diabetes im Frühstadium ohne Medikamente und nur durch eine konsequente Lebensstiländerung ausreichend behandelt werden könnten. Menschen mit Diabetes können prinzipiell auch alles essen. Zucker ist kein Tabu. Aber es gibt Empfehlungen und Wissen, welche Ernährung sinnvoll ist. Hier helfen Diabetes- und Ernährungsberatung und entsprechend versierte Ärztinnen und Ärzte. 
IMAGE: Eine regelmäßige Vorsorge ist auch notwendig?
LANG: Absolut. Es ist immer am besten, Schäden gar nicht erst entstehen zu lassen – und wenn das nicht funktioniert, sie so früh wie möglich zu entdecken. 
Es ist wichtig, sich selbst genau zu beobachten und Wunden frühzeitig anschauen zu lassen. Und auch noch mal an dieser Stelle: man kann einem Diabetiker nicht oft genug auf die Füße schauen! Ebenso gehören Vorsorge für Augen und Nieren und regelmäßige Gesundheitschecks ins Pflichtprogramm. von Dr. Anja Pielorz