Ernährungsbedingte Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Was können wir dagegen tun?
Chefarzt Matthias Blase (Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie): Die Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie Viszeralmedizin umfasst alle Erkrankungen des Bauchraums und des Verdauungstrakts, beispielsweise entzündliche Erkrankungen von Magen und Darm wie Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa, Divertikulitis (Entzündung von Ausstülpungen der Darmwand), aber auch die Refluxerkrankungen und Sodbrennen. Katia José ist ausgebildete Diätassistentin sowie Onkologische und Allergologische Ernährungsfachkraft. Sie hat Weiterbildungen in der geriatrischen sowie der enteralen und parenteralen („künstliche Ernährung“) Ernährungstherapie absolviert.
IMAGE sprach mit Chefarzt Matthias Blase, Facharzt für Chirurgie, Viszeralchirurgie und Spezielle Viszeralchirurgie, und Katia José über vegane und vegetarische Ernährung aus medizinischer Sicht. Bei der Therapie vieler Erkrankungen oder der Prävention spielt die richtige Ernährung eine wichtige Rolle. Auch nehmen die ernährungsbedingten Erkrankungen immer mehr zu. Schon 2020 hat sich das EvK auf den Weg gemacht, eine „Ernährungsmedizinische Komplexbehandlung“ zu etablieren. Sie ermöglicht es, mangelernährte Patienten frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
IMAGE: Nahrungsmittelunverträglichkeit, vegane und vegetarische Ernährung - was genau bedeutet das?
BLASE: Ein Mensch mit einer Nahrungsmittelunverträglichkeit (entweder Nahrungsmittelallergie oder -intoleranz) reagiert auf ganz bestimmte Lebensmittel. Zu den Hauptauslösern gehören Kuhmilch, Soja, Hühnerei, Weizen, Erd- und Haselnüsse, aber auch rohes Gemüse- und Obstsorten, Fisch, Krebs- und Weichtiere. Wer beispielsweise unter Laktose-Intoleranz leidet, verträgt das Kohlenhydrat der Milch, die Laktose – umgangssprachlich Milchzucker – nicht. Hervorgerufen wird die Erkrankung durch einen Mangel an Laktase, dem Enzym, welches für die Verdauung des Milchzuckers zuständig ist. Der Verzicht auf laktosehaltige Lebensmittel ist geboten. Rebelliert der Darm nach dem Genuss von Obst und Säften, dann könnte eine Fruktose-Intoleranz dahinterstecken. Die Fruktose aus der Nahrung kann nicht oder nur sehr begrenzt von den Zellen der Dünndarmschleimhaut aufgenommen werden. Sie wandert dann in den Dickdarm. Übelkeit, Krämpfe, Bauchschmerzen und Durchfall können die Folge sein. Für manche Menschen muss Nahrung auch glutenfrei sein. Gluten ist ein Protein, welches in heimischen Getreidesorten wie Weizen, Roggen, Gerste und Hafer vorkommt. Wer daran leidet (auch hier sind es Magen-Darm-Probleme), der muss lebenslang eine glutenfreie Nahrung zu sich nehmen. Die Krankheit heißt übrigens Zöliakie.
Wer sich vegetarisch oder vegan ernährt, tut dies in der Regel nicht aus Gründen einer Unverträglichkeit. Vegetarier essen neben den pflanzlichen Produkten nur Lebensmittel, die vom lebenden Tier stammen. Eier, Milch und Milchprodukte sowie Honig werden also verzehrt. Veganer hingegen verzichten grundsätzlich auf alle tierischen Produkte. Bei einer Entscheidung für eine vegane oder vegetarische Ernährung spielt oft die Lebens- und Weltanschauung eine große Rolle. Man möchte sich gesünder ernähren und die Massentierhaltung nicht unterstützen. Ein gesundheitlicher Vorteil der Vegetarier gegenüber einem Mischköstler mit geringem Fleischkonsum ist bisher nicht nachgewiesen. Zahlreiche Studien haben aber ergeben, dass Menschen, die sich vegetarisch ernähren, oft auch nicht rauchen, keinen Alkohol trinken, Sport treiben und kein Übergewicht haben – sich also insgesamt einen gesunden Lebensstil angeeignet haben. Bei einer veganen Ernährung besteht das Risiko von Nährstoffmangel. Vitamin B12 beispielsweise muss man zwingend ergänzen, wenn man sich vegan ernährt. Denn das Vitamin kommt nur in Tierprodukten vor.
IMAGE: Das bedeutet: Man muss sich mit der veganen Ernährung gut auskennen?
JOSÉ: Das ist richtig. Auch Jod und Calcium sind Nährstoffe, die man bei einer veganen Ernährung im Auge behalten sollte. Jodsalz und calciumreiches Mineralwasser kann helfen. Es kann auch sein, dass man nicht ausreichend mit anderen Nährstoffen wie Zink, Eisen, Selen, Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D oder Vitamin B2 versorgt ist. Bluttests können hier Klarheit bringen. Stark verarbeitete vegane Ersatzprodukte sollte man aber kritisch sehen. Für Veganer gibt es viele Möglichkeiten, Fleisch zu ersetzen. Hülsenfrüchte eignen sich hier besonders gut. Auch Tofu ist vielseitig einsetzbar. Pur ist er geschmacklos, es gibt aber auch geräucherte Varianten, die sehr würzig schmecken. Vegane Fleisch-Alternativen aus Seitan, Süßlupine, Seitlingen (Pilzen) oder Linsen sind reich an Ballast- und Mikronährstoffen und enthalten reichlich Eiweiß.
IMAGE: Warum nehmen ernährungsbedingte Erkrankungen zu?
BLASE: Der Lebensstil vieler Menschen hat sich durch die Corona-Pandemie und das Homeoffice deutlich verschlechtert. Die Menschen bewegen sich weniger und ernähren sich ungesünder. Insbesondere gehören zu den negativen Einflussfaktoren der Verzehr von zu wenig Vollkornprodukten und zu wenig Hülsenfrüchten, gefolgt von einer Ernährung mit zu viel Salz und zu viel rotem und verarbeitetem Fleisch. Als rotes Fleisch wird das Fleisch vor allem von Rind, Schwein und Schaf bezeichnet. Weißes Fleisch stammt von Geflügel. Ein hoher Konsum wird mit einem erhöhten Risiko für Erkrankungen wie Darmkrebs, Diabetes und koronare Herzkrankheiten in Verbindung gebracht. Alkohol und eine zu hohe Energiezufuhr sind weitere wichtige Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Viel Zucker, viele tierische Fette und Fast Food überfordern den Stoffwechsel und das macht auf Dauer krank. Eine gesunde Darmflora ist für unser Immunsystem von großer Bedeutung. Bei den komplizierten Vorgängen in unserem Darmsystem kann es manchmal zu Störungen kommen, die dann die unterschiedlichsten Beschwerden verursachen können. Mittlerweile wissen wir durch zahlreiche Studien, dass eine gesunde Mischkost besser ist als viele Diäten oder eine einseitige Ernährung.
IMAGE: Wie ernähren wir uns denn gesund?
JOSÉ: Eine vegetarische Ernährungsweise oder die Mischkost mit sehr geringem Fleischanteil hat nachweislich gesundheitliche Vorteile. Wichtig ist eine vielfältige und abwechslungsreiche Zusammenstellung der Lebensmittelgruppen mit Gemüse und Obst, Vollkorn- und Milchprodukten, Hülsenfrüchten sowie ausgewählten Ölen und Nüssen. Auf Alkohol und Nikotin sollte man verzichten und Zucker stark reduzieren. So kann man oft ernährungsbedingten Erkrankungen vorbeugen.
Grundsätzlich spielt aber auch bei der Therapie vieler Erkrankungen die richtige Ernährung eine große Rolle. Vor diesem Hintergrund ist eine fachkundige Ernährungsberatung sowie eine Ernährungstherapie fester Bestandteil im EvK Witten. Sie kann zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse sowie zur Optimierung der Lebensqualität dienen und Ernährungsprobleme vermindern. Dies gilt auch dann, wenn der Patient das Krankenhaus verlassen hat und sich selbst versorgt. Es ist nie zu spät, auf seine Ernährung zu achten und sich gesünder mit Nahrungsmitteln zu versorgen. anja