Nichts ist so spannend und bewegt den Menschen so sehr wie sein eigenes Verhalten und das seiner Mitmenschen. Auch in diesem Jahr greift IMAGE gemeinsam mit Dr. med. Willi Martmöller, Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapie (Tiefenpsychologie) in unserer Serie „Wie tickt der Mensch“ spannende Fragen auf und stellt verblüffende Antworten aus der Psychologie vor.
„Auf die Frage, warum Menschen sich aggressiv verhalten, könnte man positiv antworten: weil sie es müssen. Aggression hat allerdings einen schlechten Ruf in der Gesellschaft. Dabei dient sie dem Selbstschutz. Stresshormone wie Kortisol, Noradrenalin und Adrenalin zirkulieren verstärkt durch den Organismus, lassen den Blutzuckerspiegel und den Blutdruck steigen. Plötzlich sind wir hellwach und voller Energie. Wir sind bereit, auf ein Ärgernis, Stress, Gefahren oder Unterdrückung zu reagieren – letztlich um zu kämpfen oder zu fliehen. Die Aggression ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Selbstwertgefühls und ohne sie sind wir gefangen in unserer eigenen Angst. Damit ist ausdrücklich NICHT gemeint, dass sich jeder Mensch auf Kosten anderer nimmt, was er will oder sich gewalttätig verhält“, erklärt Dr. Willi Martmöller. „Wir wissen, dass Aggression gegen andere Menschen umso wahrscheinlicher wird, je wütender wir sind und je mehr eine konkrete Person als Auslöser dafür verantwortlich gemacht werden kann. Umgekehrt wissen wir auch, dass junge Menschen mit Bindung an Bezugspersonen und einem früh gelernten sozialverträglichen Verhalten weniger zu Aggressionen neigen und sie besser kontrollieren können. Ein Erfolgserlebnis, das mit Gewalt zusammenhängt, wird im Gehirn anders gespeichert als eines, das ohne Gewalt entstanden ist. Wenn wir die Erfahrung machen, Aggression und Gewalt gehören immer zusammen und sind erfolgreich, dann zeigen Menschen eher ein gewaltbereites Verhalten. Dabei kann Aggression genau das Gegenteil hervorrufen. Indem sie den Angriff vorbereitet, kann sie Gewalt überflüssig machen - etwa dadurch, dass das Gegenüber eingeschüchtert wird oder einlenkend reagiert. Wichtig ist nicht, die Aggression zu unterdrücken, sondern zu lernen, mit ihr umzugehen und sie in positive Energie zu verwandeln.“ anja
Dauerhaft unterdrückte Aggression macht krank
Die Hirnforschung untersucht, was im Gehirn passiert, wenn und wodurch Menschen aggressiv werden: Ein spezieller Teil des Frontalhirns, der anteriore cinguläre Cortex (ACC), ist eine Art Konfliktmanager und dafür zuständig, Probleme zu melden und zu lösen. Gleichzeitig reguliert er unsere Reaktionen. Bei aggressivem Verhalten ist seine Aktivität verringert. Das reduziert das mitfühlende Denken. Dagegen erhöht sich die Aktivität der Amygdala (dem Aggressions- und Alarm-Areal des Gehirns), die auch wegen ihrer Form Mandelkern genannt wird. Die Amygdala hat unter anderem die Funktion, Bedrohungen zu erkennen und Abwehrreaktionen einzuleiten. Psychologen gehen heute davon aus, dass Aggressionsenergie bei jedem Menschen vorhanden ist. Wer nicht gelernt hat, mit ihr umzugehen, und versucht, sie dauerhaft zu unterdrücken, ist in Gefahr, autoaggressive Verhaltensweisen zu entwickeln oder in eine Gewaltspirale zu geraten. Es können Sucht- und Essstörungen entstehen, aber auch massive Affektdelikte, bei denen Personen oder Sachgegenstände geschädigt werden. Studien zeigen: Wenn Menschen mit Zurückweisung, Unehrlichkeit und gebrochenen Versprechen konfrontiert werden und das mit vertrauten Personen erleben, reagieren sie besonders aggressiv. Anerkannte Regeln in Gesellschaft und Erziehung sollten Aggressionen beherrschbar machen.