Interview mit Dr. Matthias Thöns, Facharzt für Anästhesiologie und Palliativmediziner.
Dr. med. Matthias Thöns, Facharzt für Anästhesiologie, Notfall-, Palliativmedizin, spez. Schmerztherapie; Foto: Marion Nelle
IMAGE: Sie sind Facharzt für Anästhesie und Notfall-, Schmerz- und Palliativmedizin. Als Palliativmediziner werden Sie regelmäßig mit dem Thema Sterben und Tod konfrontiert. Was verstehen Sie unter einem „würdevollen Sterben“?
THÖNS: Auf der einen Seite ein Sterben ohne nennenswerte Leidenszustände. Das sollte heute eigentlich zumeist möglich sein, denn palliativmedizinische Strategien können Leiden gerade am Lebensende recht gut lindern. Auf der anderen Seite gehört aber die mit der Würde des Menschen so eng verbundene Selbstbestimmung hinzu - und da gibt es viel zu bestimmen: den Aufenthaltsort, die Menschen, die noch da sein sollen oder mit denen man Frieden finden möchte, die Art und Weise der Behandlung oder auch der Nichtbehandlung.
IMAGE: Es gibt die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen, die in Deutschland erstmalig 2010 veröffentlicht wurde. Sie setzt sich dafür ein, den Tod wieder ins Leben zu holen und gleichzeitig die Bedürfnisse des Sterbenden stärker zu berücksichtigen. Sind Sie Mitglied und sehen Sie in der Charta den richtigen Weg, das Ziel zu erreichen?
THÖNS: Ich bin Mitunterzeichner der Charta und halte 99 Prozent der Ziele der Charta für richtig (und) wichtig, gerade ihre politische Bedeutung. Leider weicht die Charta in Bezug auf die Unterstützung bei Sterbewünschen zart von der durch das Bundesverfassungsgericht recht ausführlich dargestellten Rechtslage ab. Es gibt eben ein Recht auf einen selbstbestimmten Freitod.
IMAGE: Medizintechnik am Lebensende ist ein emotionales und oft umstrittenes Thema. Ist die Patientenverfügung ein geeignetes Mittel dazu, festzulegen, was jeder Einzelne möchte? Funktioniert sie in der Praxis? Man liest und hört beispielsweise immer wieder, dass trotz einer Patientenverfügung medizinische lebensverlängernde Maßnahmen ergriffen wurden, die der Betroffene eigentlich ausschließen wollte.
THÖNS: Die Patientenverfügung in Kombination mit einer Vorsorgevollmacht ist ein wichtiges Instrument, damit die letzte Lebenszeit so verläuft, wie man es sich wünscht. Sie funktioniert in der Praxis gut. Leider gibt es aber immer noch eine geringe Zahl an Kolleginnen und Kollegen, die solange an der Patientenverfügung heruminterpretieren, bis wieder Maximalmedizin gemacht werden kann. Hier braucht es eben einen taffen Vorsorgebevollmächtigten.
IMAGE: Braucht es im Medizinstudium einen Schwerpunkt zur Medizin am Lebensende? Muss es Medizinern stärker bewusst sein, dass sie eine Therapie auch „umschalten müssen“ vom Heilen zur Schmerzversorgung und Begleiten bis zum Tod?
THÖNS: Es gibt ja seit einigen Jahren endlich einen Schwerpunkt auf Schmerz- und Palliativmedizin. Jeder Studierende muss das nun lernen. Gleichwohl besteht noch viel Luft nach oben, um eine wirklich gute palliative Denke in der ärztlichen Ausbildung zu verankern. Die meiste Medizin ist nun einmal palliativ.
IMAGE: Palliativmediziner helfen, durch Schmerzmittelgabe das Leid zu lindern. Meistens gelingt das auch. Was sagen Sie einem Betroffenen, der seine Schmerzen als unerträglich empfindet und selbst bestimmen möchte, wann sein Leben enden soll?
THÖNS: Ich versuche zunächst die Schmerzen zu verbessern, das gelingt zumeist. Ich verbinde das oft mit der Bitte, mir dazu 14 Tage Zeit zu geben und in den allermeisten Fällen gelingt die Linderung und der Wunsch vorzeitig zu sterben vergeht. Dort, wo der freiverantwortliche Wunsch nicht vergeht, müssen vier Kriterien aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil (geistige Gesundheit, Nachhaltigkeit, Alternativaufklärung, fehlender Druck) erfüllt sein und ein weiterer Kollege die Freiverantwortlichkeit attestieren. Dann helfe ich auch dort zur freiverantwortlichen Selbsttötung. Das ist glücklicherweise eine Rarität.
IMAGE: Sie haben sich als Arzt für die Selbstbestimmung des Patienten bezeichnet. Was muss sich Ihrer Meinung nach auf juristischem Gebiet ändern, damit der Mensch nicht nur über sein Leben, sondern auch sein Sterben und seinen Tod entscheiden darf?
THÖNS: Im Moment wird bei dieser Hilfe beim freiverantwortlichen Freitod noch sehr umfangreich ermittelt, stets wird die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft tätig. Das führt dazu, dass ich bislang eigentlich keinen anderen Kollegen kenne, der auch dabei hilft. Mehr noch finden Patienten augenblicklich kaum einen Arzt, der ihnen die geistige Gesundheit als Grundvoraussetzung attestiert. Eine beschämende Entwicklung, wenn man bedenkt, dass das höchste deutsche Gericht urteilte: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Was aber ist ein Rechtsanspruch, wenn staatliche Organe einen derartigen Druck aufbauen, dass Menschen ihr Recht gar nicht umsetzten können. anja