Kriminalhauptkommissarin Bettina Frauenstein, Polizei EN, klärt auf zu sexualisierter Gewalt.
Eltern und Großeltern machen sich viele Sorgen um den Nachwuchs. Zu den schlimmsten Alpträumen gehört die Vorstellung, das Kind könnte von einem Fremden angesprochen werden und mitgehen oder in ein vorbeifahrendes Auto gezogen werden. Kriminalhauptkommissarin Bettina Frauenstein, Abteilung Prävention/Opferschutz bei der Polizei EN-Kreis, macht deutlich: So etwas gibt es, aber viel häufiger sind es keine fremden Menschen, die einem Kind (sexuelle) Gewalt antun.
„Grundsätzlich vorweg: sexuelle Handlungen mit Kindern sind immer strafbar. Geregelt wird dies sowie die Verbreitung pornographischer Inhalte im Strafgesetzbuch in den Paragraphen 176, 180, 182 und 184. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf verweisen, dass jedes Mitglied einer WhatsApp-Gruppe, der solche Texte oder Fotos von jemandem geschickt bekommt, sich bereits strafbar macht, weil sich derjenige im Besitz des Materials befindet – auch dann, wenn man selbst das gar nicht wollte. Dies gilt auch für den Fall, dass diese Person das Material weiterschickt, etwa an einen Schulsozialarbeiter oder ähnliches. Der einzig richtige Weg in einem solchen Fall ist es, sofort mit seinem Handy zur Polizei zu gehen. Auch das sogenannte Cybergrooming – die gezielte Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen über das Internet – ist ein Straftatbestand“, erklärt Bettina Frauenstein.
Digitale Welt: Das Kinderzimmer wird zum Tatort
Jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder neunte bis 12. Junge unter 18 Jahren erleben eine sexuelle Missbrauchssituation. In der großen Mehrheit tun sie dies mit ihnen vertrauten Personen, zu denen sie eine soziale Beziehung haben. Fremdtäter sind die Ausnahme. Der Täter, so die Expertin, nimmt Kontakt zu dem Opfer auf. Im realen Leben geschieht dies beispielsweise über die Eltern des Kindes. Der Täter versucht oft auch, den Namen des Kindes zu erfahren. Denn wer mit Namen angesprochen wird, sieht in seinem Gegenüber keinen Fremden. „Grundsätzlich besteht zwischen Täter und Opfer immer ein ungleiches Machtverhältnis. Der Täter will Macht ausüben, macht sich zunächst mit dem Opfer vertraut, geht planvoll vor. Später droht der Täter und weckt beim Opfer Schuld- und Schamgefühle. In der digitalen Welt sucht der Täter oft über Chats und Spiele den Kontakt zu Kindern. Ziel bei dem sogenannten Cybergrooming ist es, Kinder zu sexuellen Handlungen vor der Kamera zu bewegen. Er will Fotos von dem Kind haben, es muss nicht zu einem Treffen in der realen Welt kommen. Trotzdem handelt es sich dabei um einen Straftatbestand und ein Kind macht auch in diesem Fall traumatische Erlebnisse. Das Kinderzimmer wird zum Tatort.“
Schutz in der realen und digitalen Welt
Um Kinder in der realen und digitalen Welt zu schützen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. „Erziehen Sie ihr Kind zu Mut und Selbstständigkeit. Machen Sie deutlich, dass das Kind über seinen Körper entscheidet und NEIN sagen darf und muss, wenn es ein ungutes Gefühl hat. Machen Sie dem Kind deutlich, dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt. Natürlich ist das Geschenk für den Papa oder die Mama ein gutes Geheimnis, dass man vorher nicht verraten darf. Aber wenn ein negatives Bauchgefühl eine Rolle spielt, dann ist es in der Regel keine gute Sache, sich nicht jemandem anzuvertrauen oder um Hilfe zu bitten. Die meisten Eltern werden ihrem Kind sagen, dass es nicht mit Fremden mitgehen darf und beim Ansprechen durch fremde Menschen flüchten sollte. Vorsicht ist aber auch bei vermeintlich vertrauten Personen geboten. Das Kind kann denjenigen kennen, beispielsweise vom Spielplatz. Und derjenige kann dem Kind durchaus sagen, die Eltern hätten ihn beauftragt, das Kind abzuholen. Hier ist es hilfreich, vorab mit dem Kind Passwörter zu vereinbaren. Wenn die Eltern das Kind nicht abholen, sondern jemanden beauftragen, das zu tun, dann muss derjenige dem Kind gegenüber das Passwort nennen – kennt er es nicht, geht das Kind nicht mit. Sinnvoll ist auch, den Weg nach Hause in der Gruppe zu gehen. Beispielsweise von der Schule. Eine Gruppe macht immer stärker. Wird immer der gleiche Weg genutzt, können Eltern mit dem Kind den Weg vorher ablaufen und gezielt nach Orten suchen, an denen das Kind Hilfe bekommen kann. Das können Geschäfte sein, Nachbarn. In Hattingen und anderen Städten gibt es den Aufkleber „Notinseln“ (oder andere Aufkleber über den Kinderschutzbund) an den Türen von Geschäften. Das Kind weiß: Hier bekomme ich Hilfe oder kann hingehen, wenn ich ein komisches Gefühl habe. Übrigens sollte man Kleidung oder Taschen des Kindes nie nach außen sichtbar mit seinem Namen verzieren. Denn die Nennung des Namens schafft beim Kind Vertrauen – auch dann, wenn es die Person nicht kennt. In der digitalen Welt müssen Eltern genau hinschauen, was ihr Kind tut. Auf welchen Seiten im Internet ist das Kind unterwegs? Mit wem chattet es? Erstellen Sie Regeln für den Gebrauch des Internets, denn im World Wide Web ist nichts privat. Und achten Sie selbst darauf, welche Fotos Sie von ihrem Kind posten. Nicht selten werden Identitäten und Fotos im Internet gestohlen. Vermeintlich harmlose Fotos tauchen in kinderpornographischen Portalen auf und werden zur verbalen Zielscheibe in entsprechenden Gruppen.“
Sie haben einen Verdacht? Das ist zu tun
Für den Fall, dass ein Verdacht auf einen Missbrauch vorliegt, gilt: sich auf Fakten verlassen, Ruhe bewahren, das Kind ernst nehmen und sich Hilfe holen. Die gibt es bei den Jugendämtern und Erziehungsberatungsstellen in den Städten, beim Weißen Ring und selbstverständlich bei der Polizei. Dort wird das Kind auch als Zeuge seine Aussage machen, wenn sich der Verdacht erhärtet. Die Beamten sind geschult im Hinblick auf eine kindgerechte Befragung. Notwendig werden kann auch eine ärztliche Untersuchung des Kindes. Eingeholt wird in der Regel auch ein psychologisches Gutachten. Schließlich geht es darum, den Täter zu ermitteln und gegebenenfalls festzunehmen.
Grundsätzlich gilt: „Machen Sie sich mit dem Thema vertraut, bevor etwas passiert. Und schauen Sie hin, was ihr Kind tut.“ anja