Prof. Dr. med. Andreas Wiedemann, Chefarzt der Urologie EvK Witten, im Gespräch mit IMAGE.
Professor Dr. Andreas Wiedemann, Chefarzt der Klinik für Urologie am Evangelischen Krankenhaus Witten, mit dem neuen Zertifikat als „Zentrum für Interstitielle Zystitis und Beckenschmerz.“
Zum Versorgungsspektrum der Klinik für Urologie am Evangelischen Krankenhaus Witten gehören alle operativen und konservativen Verfahren zur Behandlung von Harnsteinen, Inkontinenz oder Tumorerkrankungen des Harntraktes sowie der männlichen Geschlechtsorgane inklusive der Prostata. IMAGE hat jetzt mit dem Chefarzt der Klinik für Urologie am EvK Witten, Professor Dr. med. Andreas Wiedemann, gesprochen.
IMAGE: Bei einer Ihrer „Ambulanzführungen“, die wir besuchen durften, haben wir gehört, dass Sie in Deutschland die meisten Lasereingriffe bei Prostatavergrößerung durchführen. Stimmt das?
Wiedemann: Wir zeigen Patienten unsere Arbeit jeden zweiten Dienstag um 18 Uhr an geraden Monaten in unserer Ambulanz. Dort können sie sehen, wie eine Steinzertrümmerung funktioniert, wir „spiegeln“ eine Damenhandtasche und demonstrieren unseren Grünlichtlaser für die Prostatavergrößerung. In diesem Verfahren sehe ich die Zukunft der schonenden Prostataverkleinerung, das langfristig die „alte“ Methode mit der Elektroschlinge ablösen wird, die nur noch wenigen Sonderfällen vorbehalten bleibt. Wir führen pro Jahr rund 300 Lasereingriffe dieser Art durch - soviel wie niemand sonst in Deutschland.
IMAGE: Was macht die Faszination des Grünlichtlasers für Sie aus und was hat der Patient für Vorteile?
Wiedemann: Die Prostata ist ein gut durchblutetes Organ. Bei der Elektroresektion beträgt der mittlere Blutverlust 500 ml – das ist nicht gefährlich, aber eine relevante Menge, die unter Blutverdünnern wie ASS, die z. B. wegen Herzrhythmusstörungen eingenommen werden, aber noch größer und dann gefährlich werden kann. Hier hat der Laser, der das Prostatagewebe von innen verdampft, einen entscheidenden Vorteil: Blutungen werden sofort vom Laserlicht verschweißt, es blutet so gut wie überhaupt nicht. Der Effekt ist dabei nicht besser, aber die Prozedur schonender. Der Arzt kann entspannt operieren, der Patient ist schneller wieder zuhause, er muss nur noch für zwei Tage einen dünnen Katheter tragen, der fast gar nicht mehr gespült werden muss, was wiederum das Pflegepersonal entlastet.
IMAGE: Und in welchen Fällen muss man eine Elektroresektion durchführen?
Wiedemann: Der Laser verdampft Gewebe, ich kann es nicht zur feingeweblichen Untersuchung einschicken. Besteht Krebsverdacht, muss ich den Eingriff nach der „alten“ Methode durchführen oder vorher eine Biopsie – Gewebsprobe – mit einer Nadel entnehmen. Eine weitere Ausnahme sind sehr sehr große Prostatadrüsen. Diese sind weder für den Laser noch für die Elektroschlinge geeignet. Jenseits von 100 Gramm Gewebe würde der Eingriff zu lange dauern und häufig bleiben noch störende Gewebsreste zurück.
IMAGE: Herr Prof. Wiedemann, bei der Ambulanzführung erwähnten Sie auch ein neues Zertifikat Ihrer Abteilung. Es lautet „Zentrum für Interstitielle Zystitis und Beckenschmerz“. Was ist das?
Wiedemann: Die Interstitielle Zystitis ist eine heimtückische, schwerwiegende Erkrankung, die häufig unerkannt bleibt. Die Patienten haben einen unerklärlichen Schmerz in Ihrem Becken, sie müssen extrem häufig zur Toilette (bis zu sechzig Mal am Tag) und werden häufig als „psychisch“ abgestempelt. Untersuchungen zeigen, dass es im Mittel neun Jahre dauert, bis die Diagnose gestellt wird und zwanzig verschiedene Ärzte konsultiert werden.
IMAGE: Und wofür genau haben Sie das Zertifikat bekommen?
Wiedemann: Eine Fachgesellschaft zertifiziert die Expertise bei den diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Diese sind sehr komplex und umfassen neben Medikamentengaben auch operative Maßnahmen wie z. B. die Implantation eines „Blasenschrittmachers“ (Neuromodulators). Meine Abteilung erfüllte alle Anforderungen und wurde daher 2019 als neuntes Zentrum für Interstitielle Zystitis und Beckenschmerz in Deutschland anerkannt.
IMAGE: Ihre Abteilung ist auch Kontinenz- und Beckenbodenzentrum – ist das nicht eine Überschneidung?
Wiedemann: Nein, hier werden zusammen mit Gynäkologen und Neurologen besonders komplexe Fälle einer Harninkontinenz oder einer Blasenentleerungsstörung behandelt. Diese bedürfen für eine erfolgreiche Behandlung oft des gemeinschaftlichen Blickes auf einen Patienten. Um ein Beispiel zu nennen: Liegt eine Inkontinenz bei neurologischen Erkrankungen vor, muss der Neurologie diese behandeln, der Urologe setzt an der Blase an. Hier kann z. B. eine Überaktive Blase, die sich mit starkem Harndrang unfreiwillig entleert, mit Medikamenten oder operativ durch die Injektion von Botox in die Blase behandelt werden. Wenn sich eine Blase nicht entleeren will, weil z. B. ein langjähriger Diabetes die Blasennerven geschädigt hat, kann mit Reizstrom und flankierendem Selbstkatheterismus versucht werden, die Blase zu rehabilitieren.
IMAGE: Kann man eine Inkontinenz auch operativ heilen?
Wiedemann: Selbstverständlich. So führt die Implantation eines Kunstoffbandes bei der sogenannten „Belastungsinkontinenz“, dem Urinverlust bei Husten, Lachen, Niesen typischerweise bei der Frau, zu Heilungsraten von rund 85 Prozent über 15 Jahre. Alles dies sind Leistungen, die im Kontinenz- und Beckenbodenzentrum abgebildet werden.
IMAGE: Herr Prof. Wiedemann, eine letzte Frage: Wie beurteilen Sie die Zukunft der Urologie? Wird die Urologie wichtiger werden?
Wiedemann: Auf jeden Fall. Keine Fachrichtung behandelt so viele Ältere – das liegt an den typischen Alterserkrankungen wie der Harninkontinenz oder den „urologischen“ Folgen von häufigen Erkrankungen am Harntrakt wie Diabetes, Demenz oder Schlaganfall. Dies bedeutet, dass die Urologie sich nicht nur auf dem eigenen Fachgebiet, sondern auch mit Blutdruckproblemen, Diabetes oder neurologischen Erkrankungen auskennen muss. Die „geriatrische Urologie“ ist also ein unbedingtes Zukunftsthema, das ich auch wissenschaftlich als Mitglied des Lehrstuhls für Geriatrie der Universität Witten/Herdecke bearbeite. Themen wie Medikamentennebenwirkungen am Harntrakt, die Sturzneigung unter urologischen Medikamenten oder die Blutungen unter Blutverdünnern im Harntrakt sind Phänomene, die bisher noch nicht ausreichend erforscht sind.