Die Stühle im Zuschauerraum reichten nicht, als Dr. Robert Habeck die Bühne im Foyer der Universität Witten/Herdecke betrat.
Mehrere hundert Zuhörer, überwiegend Studenten und Mitarbeiter der Uni, waren gekommen, um sich den Vortrag mit anschließender Fragerunde des ehemaligen Vizekanzlers zum Thema „Polarisierung und Demokratie“ anzuhören. Aufgrund des großen Besucherandrangs hatte die Uni sogar den Veranstaltungsort vom Holzgebäude kurzfristig ins Foyer der Mensa verlegt.
Termin kam kurzfristig zustande
Der Kulturbeauftragte der Universität Klaus-Bernhard Tetzlaff hatte Robert Habeck erst am 31. Oktober dieses Jahres zu einem Vortrag der neuen Veranstaltungsreihe „Anstöße“ eingeladen und darauf gehofft, dass der ehemalige Spitzenpolitiker vielleicht zum Sommersemester des nächsten Jahres einen Termin finden werde. Jedoch: noch am gleichen Abend erhielt Tetzlaff einen Anruf von Habeck mit der Zusage für den 26. November – 2025 wohlgemerkt. In seinem zweistündigen Vortrag beschrieb der Bundeswirtschaftsminister a. D seine persönlichen Erfahrungen im Politikbetrieb und beleuchtete die Situation in der Welt unter den Stichworten „Polarisierung und Demokratie“. Lange Zeit habe er geglaubt, „es geht schon gut weiter“. Heute frage er sich, ob nicht eine andere Politik und eine andere Gesellschaft anrollt. „Ich verstehe Freiheit als Selbstbestimmung, was aber nicht heißt, alles sei möglich.“ Dies sei, so Habeck, falsch und schlechtestenfalls asozial. Er empfindet das Infragestellen von Regeln und politischen Institutionen als bedrohlich und führt mehrere Beispiele wie die USA und Ungarn, Dänemark, Niederlande und die Türkei an.
„Witten setzt einen Gegenpunkt“
Vornehmlich, so Habeck, fänden diese Bewegungen im ländlichen Raum statt. Ursächlich dafür sei, dass viele Menschen im ländlichen Raum unter ökonomischen Druck gerieten und Ängste hätten, ihren Status zu verlieren und sozial abzusteigen. Im Ergebnis würden dann gerne Flüchtlinge und Migranten von Rechtspopulisten für die zunehmenden Wirtschaftsprobleme eines Landes verantwortlich gemacht.
Auf die Frage eines syrischen Teilnehmers, der seit zehn Jahren in Deutschland sei, was er besser machen könne, antwortet Habeck deshalb: „Wir brauchen zukünftig jede Hand und jeden Kopf, damit unsere ökonomische Grundlage stabil bleibt und die Wachstumsperspektive wieder nach oben zeigt. Wir brauchen Zuwanderung, damit wir weiter wachsen.“ Einfach sei es nicht, er selber sei mit dem Energiegebäudegesetz zur Erreichung von Energiesicherheit und Klimaschutz gescheitert. Deutschland und Europa müssten aber, so seine Einschätzung, Wettbewerb und Fortschritt deutlich erhöhen.
Habeck musste erstmal Abstand gewinnen
Robert Habeck erklärt seinen Rücktritt als Politiker damit, dass er selbst erstmal „ein Stück rausgehen und von draußen wieder einen Blick auf die Situation in der Politik und Gesellschaft werfen“ wollte. Seit September dieses Jahres ist er in Dänemark beim Dansk Institut for Internationale Studier tätig und plant, im nächsten Jahr an der Univesität in Berkeley in Kalifornien forschen und lehren zu wollen. Von Matthias Dix