Pflegepersonen, die seit Jahren in der Praxis tätig sind, sehen die Einrichtung kritisch.
Im Sommer 2020 hat der NRW-Landtag die Pflegekammer im Heilberufsgesetz verankert, Ende 2022 gab es die konstituierende Sitzung. Der Gesetzgeber hat vor dem Hintergrund einer möglichst starken Vertretung des Berufsstandes die Mitgliedschaft in den Heilberufskammern verpflichtend ausgestaltet. Für die Pflegekammer NRW bedeutet das: alle Pflegefachpersonen mit Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen und Berufszulassungserlaubnis müssen sich in der Pflegekammer NRW anmelden. IMAGE hatte im Zusammenhang mit dem Hattinger Charta-Tisch „Pflege“ in der August-Ausgabe berichtet. Während die einen in der neuen Pflegekammer eine starke Vertretungsstimme für den Berufsstand sehen, überwiegen bei anderen die kritischen Töne. IMAGE greift das Thema noch einmal auf.
Was vor allem kritisch gesehen wird: Ob eine Pflegekammer eingerichtet werden soll oder nicht, haben nicht die Menschen in der Pflege entschieden. Eine Urabstimmung beispielsweise gab es in NRW nicht. Laut dem Statistischen Landesamt NRW sind aktuelle etwa 280.000 Menschen in der Pflege beschäftigt, rund die Hälfte davon in Teilzeit. Zwar hat es zum Thema Errichtung einer Pflegekammer Ende 2018 eine Umfrage gegeben, die auch repräsentativ sein soll, die sich allerdings nur auf 1500 Personen in der Pflege bezog. Hier sprach sich eine deutliche Mehrheit für die Errichtung einer Pflegekammer mit Pflichtmitgliedschaft aus.
Kritisch hinterfragt wird von Pflegekräften auch, ob bei der Vielschichtigkeit der Pflege an Inhalten und Strukturen eine Pflegekammer tatsächlich die vielbeschworene „eine Stimme“ darstellen könne. Von einem „Lufttiger“ wird stattdessen gespochen, denn einen Sitz im GBA, dem Gemeinsamen Bundesausschuss, dem höchsten Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutschlands, wird die Pflegekammer NRW Stand jetzt nicht bekommen.
Die Befürchtung der Pflegekräfte, hier werde nur eine überteuerte neue Behörde aufgebaut, die für die Pflegekräfte keine Verbesserung ihrer Arbeit bedeutet, bringen sie durch Demonstrationen gegen die Pflegekammer sowie in sozialen Netzwerken „Nein zur Pflegekammer NRW“ zum Ausdruck. Auch eine Petition von über 40.000 Eingaben gegen die Pflegekammer hat es bereits 2021 gegeben. Der Öffentlichkeit ist das allerdings nur wenig bekannt. Jetzt laufen Anfragen, was daraus geworden ist. Gleichzeitig wurde Mitte Juli für die Laufzeit von vier Monaten eine neue Petition gestartet (open petition zur Auflösung der Pflegekammer NRW).
Durch eine Gesetzesänderung sollen Pflegekräfte mehr Kompetenzen und Handlungsfreiheiten zur Durchführung von ursprünglich ärztlicher Tätigkeiten zugestanden werden. Doch das, was zunächst gut klingt, sehen Pflegekräfte kritisch: Pflege wird kleingeteilt – in einzelne Tätigkeiten, Module, Handgriffe. Verantwortung wird weitergereicht. Strukturen wie die Kammer werden als „Lösung“ verkauft – ohne echte Macht, ohne Veränderung der Bedingungen. Je mehr Pflegekräfte offiziell ärztliche Tätigkeiten übernehmen, desto mehr wird die eigentliche umfassende Pflege an den Rand gedrängt. Die Pflege wird zersplittert in „hochqualifizierte ärztliche Aufgaben“ und „einfache Assistenz“. Gerade die Einführung der 18-monatigen Pflegeassistenz verschärfe diese Degradierung: Die eigentliche Pflege wird auf eine kurze Ausbildung reduziert, während die umfassende Berufsausübung immer weniger wertgeschätzt wird. Das führe nicht nur zu einem Verlust des beruflichen Selbstverständnisses, sondern gefährde auch die Qualität der Versorgung, weil komplexe, ganzheitliche Pflege durch reine Aufgabenabarbeitung ersetzt würde.
Strukturelle Probleme löst die Pflegekammer nicht
Für die der Pflegekammer kritisch gegenüberstehenden Pflegekräfte löst diese Kammer kein einziges strukturelles Defizit in der Pflege. Dazu gehört vor allem der Fachkräftemangel. Bessere Pflegeschlüssel (gemeint ist damit in der Pflege das Verhältnis von Pflegepersonal zu Pflegebedürftigen, also wie viele Pflegekräfte für eine bestimmte Anzahl von Patienten oder Bewohnern zuständig sind) sind nur eine Forderung. Auch das Thema Haftung muss verbessert werden, weil durch die Erweiterung der Kompetenzen zur Durchführung ursprünglich ärztlicher Tätigkeiten eine Lücke entsteht.
Allein stehen die Kritiker in NRW nicht. In Rheinland-Pfalz macht man ebenfalls mobil. Hier gibt es die Pflegekammer seit 2016. Die Kritik bezieht sich unter anderem auf eine chaotische Verwaltung, mit Arbeitgebern nicht abgestimmte Fortbildungen und viel zu hohe Kosten. Eine Zwangsmitgliedschaft für Pflegekräfte gibt es dort auch – mit durchschnittlich 120 bis 140 Euro Beitrag pro Jahr.
Pflegekammern in Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden 2021 nach drei Jahren Bestehen bereits wieder abgeschafft. In Baden-Württemberg scheiterte die Gründung einer Pflegekammer 2024. In den anderen Bundesländern gab und gibt es bisher keine Pflegekammern.
von Dr. Anja Pielorz