Hans Jörg Malleikat, Ärztlicher Standortleiter Rettungsdienst EvK Witten.
Hans Jörg Malleikat
Im Notfall zählt jede Minute. Um eine zuverlässige Versorgung sicherzustellen, ist das Ev. Krankenhaus Witten rund um die Uhr im Einsatz – auch im Rettungsdienst. Hans Jörg Malleikat (Foto: EvK Witten) ist Ärztlicher Standortleiter Rettungsdienst am EvK Witten. Er koordiniert nicht nur die Einsätze, sondern bringt als Notarzt die Hilfe dorthin, wo sie gebraucht wird. Im IMAGE-Gespräch berichtet er über die Herausforderungen seines Berufes, die täglichen Abläufe und über die besonderen Belastungen im Notfallbetrieb.
IMAGE: Herr Malleikat, Sie koordinieren am EvK Witten den Notarztdienst. Was genau gehört zu Ihren Aufgaben?
MALLEIKAT: Unsere zentrale Aufgabe ist es, die notärztliche Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dazu gehört die Einsatzplanung des Notarzteinsatzfahrzeugs (NEF), die Dienstplanung der Notärzte sowie die Abstimmung mit Feuerwehr und Rettungsdienst. Ich bin selbst regelmäßig als Notarzt im Einsatz. In der Regel ist der Standortleiter eines Krankenhauses Angestellter einer Klinik und arbeitet dort in allererster Linie als Facharzt und betreibt die Standortleitung als zusätzliche Aufgabe „nebenher“. Ich freue mich, diese Position hauptberuflich ausüben zu dürfen. So bin ich voll und ganz für die Schnittstelle zwischen Rettungsdienst und ZNA präsent. In der Folge können Prozesse schneller optimiert und neue Notärzte viel besser auf ihre Tätigkeit vorbereitet werden. Mit meinen Tätigkeiten in der Anästhesie, Geriatrie, Allgemeinmedizin, Diabetologie sowie in der Intensiv- und Notfallmedizin decke ich ein umfangreiches medizinisches Spektrum ab. Außerdem erlange ich über die nächsten Jahre die Qualifikation eines klinischen Notfallmediziners. Diese Weiterbildung ist relativ neu, und dementsprechend gibt es wenig weitergebildete Mediziner in diesem Bereich. Meine hauptamtliche Stelle passt aber auch sehr gut zu meiner privaten Situation mit zwei kleinen Kindern, für die ich mehr als ein Wochenend-Papa sein möchte.
IMAGE: Wenn Sie im Einsatz sind – kommen die Patienten in der Regel in eine zentrale Notaufnahme?
MALLEIKAT: Ja, in der Mehrheit der Fälle bringen wir die Patienten in die nächstgelegene, geeignete Notaufnahme – in unserem Einzugsbereich häufig ins EvK Witten. Die Bandbreite der Einsatzgründe ist groß: von akuten internistischen Notfällen wie Herzinfarkten oder Schlaganfällen über Unfälle bis hin zu schweren Verletzungen nach Verkehrsunfällen. Das EVK Witten bietet als hohe Spezialisierung auch ein geriatrisches frührehabilitatives Behandlungsprogramm, zum Beispiel nach geplanten oder notfallmäßigen endoprothtetischen Operationen, aber auch ein sehr breites Spektrum urologischer Behandlungen. Es gibt außerdem zahlreiche Einsätze, die wir vor Ort (also ambulant) behandeln können. Hier spielt häufig eine Überforderung der Meldenden eine Rolle oder das Bedürfnis nach forensischer Absicherung, zum Beispiel von Pflegekräften einer stationären Pflegeeinrichtung. Als Notärzte bilden wir oft eine Brücke zu den Hausärzten. Das erfordert manchmal auch eine gewisse Kreativität, denn im Gegensatz zum hausärztlichen Notdienst dürfen wir keine Rezepte ausstellen, noch haben wir Tabletten bei uns. In palliativen Situationen werden wir ebenfalls häufig dazugerufen. In Witten existiert ein sehr gut funktionierendes Palliativnetzwerk. Dennoch kommt es vor, dass wir in manchen Situationen dabei sein sollen. Viele unserer Notärzte sind hier in der Lage zu helfen, auch ohne immer gleich eine stationäre Einweisung zu veranlassen. Viele Patienten und deren Angehörige – gerade in der Sterbephase – benötigen Begleitung und hierbei geht es neben der akuten Symptomatik ganz häufig auch einfach „nur“ um Angst.
IMAGE: Was gehört zu einer Zentralen Notaufnahme (ZNA)?
MALLEIKAT: Die ZNA ist ein hochkomplexer Bereich, in dem rund um die Uhr ein interdisziplinäres Team bereitsteht. Dazu gehören ärztliches und pflegerisches Personal, medizinisch-technische Ausstattung, Überwachungsplätze und kurze Wege zu Diagnostik und OP. Wichtig ist auch die strukturierte Ersteinschätzung – also die medizinische Priorisierung insbesondere bei hohem Patientenaufkommen. Gerade diese führt bei minderschweren Fällen nicht nur zu einer erheblichen Wartezeit, sondern auch zu Unzufriedenheit bei einigen Patienten. Es ist aber wichtiger, einen lebensbedrohlichen Fall zu identifizieren und schnell zu behandeln, als alles nach Wartezeit abzuarbeiten. In die Notaufnahme gehören akut lebensbedrohende medizinische Notfälle, bei denen schnelle Hilfe lebenswichtig ist. Dazu zählen zum Beispiel akute Atemnot, starke Brustschmerzen, Lähmungserscheinungen oder Sprachstörungen, starke Blutungen, schwere Unfälle, Bewusstlosigkeit oder Krampfanfälle sowie hohes Fieber mit Symptomen wie Bewusstseinseinschränkung und oder Verwirrtheit. In solchen Fällen ist es wichtig, den Notruf 112 zu wählen oder direkt die Notaufnahme eines Krankenhauses aufzusuchen. Der hausärztliche Notdienst unter der bundesweiten kostenfreien Nummer 116 117 ist die richtige Anlaufstelle, wenn ärztliche Hilfe außerhalb der regulären Sprechzeiten (abends, nachts, Wochenende) gebraucht wird, aber kein akuter Notfall vorliegt. Beispiele sind Fieber, starke nicht lebensbedrohliche Schmerzen, Infekte, die nicht bis zum nächsten Werktag warten können sowie leichte Verletzungen wie kleinere Schnittwunden oder Verstauchungen. Wer in einer Notsituation die falsche Anlaufstelle wählt, sorgt für unnötige Wartezeiten – für sich selbst und für andere.
IMAGE: Wie bereiten Sie sich auf außergewöhnliche Lagen wie einen „Massenanfall von Verletzten“ (MANV) vor?
MALLEIKAT: Solche Szenarien müssen regelmäßig geübt werden – in enger Zusammenarbeit mit Feuerwehr, Rettungsdiensten und Krankenhausleitung. Wir haben Alarm- und Einsatzpläne, definierte Abläufe und klar verteilte Rollen. Alle Beteiligten müssen im Ernstfall wissen, was zu tun ist. Vor kurzem hat der EN-Kreis ein neues MANV-Konzept etabliert. Deswegen sind gerade jetzt Übungen und die Überprüfung der eigenen Pläne wichtig. Wir reden ja einerseits von MANV-Lagen, bei denen wir als Krankenhaus mitunter eine erhebliche Anzahl Verletzter von einer Einsatzstelle zugewiesen bekommen, andererseits kann das Krankenhaus auch selbst in so eine Situation kommen.
IMAGE: Nehmen die Gefährdungslagen in Ihrer Wahrnehmung zu?
MALLEIKAT: Die Sensibilität ist auf jeden Fall gestiegen – zu Recht. Großveranstaltungen, politische Lagen, psychische Erkrankungen – all das spielt eine Rolle. Viele Mitarbeitende nahmen zum Beispiel die Pandemie als eine solche Lage wahr. Seitdem haben sich viele Abläufe in den Krankenhäusern geändert. Regelmäßige Fortbildungen zu Terror- oder Amoklagen und zur psychischen Belastung der Mitarbeitenden sind sehr wichtig.
IMAGE: Welche Belastungen gibt es in der Notaufnahme?
MALLEIKAT: Die Belastungen sind hoch – physisch wie psychisch. Das Team muss in kürzester Zeit schwerwiegende Entscheidungen treffen, manchmal unter Druck und mit unvollständigen Informationen. Auch herausforderndes Verhalten von Patienten ist Teil des Alltags, etwa bei Alkoholintoxikation, psychischen Krisen oder Gewaltandrohung. Das ist für das Personal sehr fordernd – wir sprechen hier bewusst auch über Deeskalation und Selbstschutz. Auch die räumliche Ausrichtung muss als Konsequenz dieser Tendenz mit hohen finanziellen Belastungen für das Krankenhaus immer wieder geändert werden. Das Team unserer ZNA ist bewundernswert. Ich habe selten so ein junges und dynamisches Team erlebt, das praktisch immer mit einem Lächeln für die Patienten da ist. Sie sind zudem der Motor für viele Veränderungen in den Abläufen und werden daher als sehr kompetent wahrgenommen und geschätzt. Das hat nicht jedes Krankenhaus. Der Erfolg meiner Tätigkeit funktioniert nur gemeinsam mit einem sehr guten Team, das sich untereinander auffängt und Handlungsbedarf auch bei Kollegen erkennt, wenn dies notwendig sein sollte. Denn wer helfen will, muss selbst stabil bleiben. von Jörg Malleikat/Dr. Anja Pielorz