Doch längst sind nicht mehr nur Süßigkeiten in der bunten Papprolle zu finden.
Ohne sie will kein Kind den ersten Gang in die Schule antreten. Die Schultüte - früher gern „Zuckertüte“ genannt - soll den i-Dötzchen den Ernst des Lebens versüßen.
Ich kann mich gut an meine Schultüte erinnern, die ich 1971 in die Hand gedrückt bekam. Rosa und gold war sie und gefüllt mit Süßigkeiten. Für den Gang zum Fotografen wurde ich fein gemacht: Zöpfe, Strickjacke, die Schuhe poliert und vor allem Kniestrümpfe - in weiß. Das Foto selbst in schwarz-weiß. Keine Ahnung, ob das Farbfoto zu teuer war oder es damals noch nicht den Zeichen der Zeit entsprach.
Die Volkskundlerin Christiane Cantauw vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Münster hat zur historischen Bedeutung der Schultüte geforscht. Demnach verbreitete sich die Tüte von Thüringen und Sachsen aus über Deutschland. 1910 begann die fabrikmäßige Herstellung in Sachsen. Ältester Hersteller von Schultüten in Deutschland ist die Nestler Feinkartonagen GmbH im Erzgebirge. Sie produzierte 2011 über zwei Millionen Schultüten pro Jahr. Insgesamt werden in Deutschland mehr als fünf Millionen Tüten von vier Großunternehmen produziert - eines aus Bamberg und die anderen drei kommen aus Sachsen.
Bunte Tüten zum Schulanfang ab 1801
Erste schriftliche Belege für die Tüten gab es der Forscherin zufolge bereits 1801 im Thüringer Wald. Große Verbreitung hat der Brauch durch ein Kinderbuch von 1852 gefunden: Im „Zuckertütenbuch für alle Kinder, die zum ersten Mal in die Schule gehen“ von Moritz Heger heißt es, dass es im Keller der Schule einen besonderen Baum gebe, von dem der Lehrer den braven Schülern eine Tüte pflücke. Der erste Schultag war früher - außer für das i-Dötzchen und seine Eltern - eher unspektakulär. Heute wird dem ersten Schultag eine zunehmende Bedeutung beigemessen. Mittlerweile ist es üblich, dass Paten, Großeltern, Tanten und Onkel an den Feierlichkeiten in der Schule und einer anschließenden privaten Einschulungsfeier teilnehmen. Was heute in die Tüte kommt, unterscheidet sich stark von den Anfängen der bunten Papprolle. Süß ist der Inhalt oft längst nicht mehr. In vielen Fällen finden sich neben Dinkelkeksen und Möhrensticks mehr oder weniger kleine Geschenke. War es früher ein süßes Brötchen und Schokolade sowie Bonbons - Süßes war etwas Besonderes - lockt man heute damit kaum noch ein Kind. Ähnlich verhält es sich übrigens auch mit den „süßen Tellern“ zu Weihnachten.
Während der Schuleintritt als erster Schritt in den „Ernst des Lebens“ versüßt werden sollte, gilt der erste Schultag heute als ein erster Bildungsschritt für den zukünftigen Beruf. Doch was findet sich heute oft in der „Zuckertüte“?
Brotdose und Trinkflasche, T-Shirt und Geldbörse, (Hör)Spiele, Bücher oder aber auch ein Gutschein für die Bibliothek.
Auch Taschenlampe und Lupe, Bastelmaterial, Hörspiel und Springseil sind willkommen. Natürlich muss die bunte Tüte richtig gepackt werden - was kommt in die Spitze? Und eine durchsichtige Regenpelle braucht die Tüte auch, damit der Regenguß der Tüte keinen Schaden zufügt.
Soziologen warnen allerdings davor, die Schultüte zunehmend als Statussymbol zu sehen, die aufgrund von Größe und Inhalt schon vor der ersten Unterrichtsstunde zu Konkurrenz und Neid führt. Denn die Einschulung lässt man sich heute schon etwas kosten.
Der Handel hat im Jahr 2019 erstmals Daten erhoben, wie viel Geld Eltern für was ausgeben, und ist auf rund 580 Millionen Euro Umsatz für Geschenke und Schulausrüstung gekommen. In diesem Jahr kommt noch die hohe Inflation hinzu.
Doch für die Familien der Erstklässler steht eines im Mittelpunkt: Sie möchten den Kindern einen schönen Einschulungstag bereiten, an den sie sich ihr ganzes Leben lang erinnern sollen. anja