IMAGE sprach mit Ralf Stoffels, Präsident der IHK Nordrhein-Westfalen, über die Wirtschaft.
Ralf Stoffels, Präsident der IHK Nordrhein-Westfalen
NRW ist ein wirtschaftlich starkes Bundesland mit einem Bruttoinlandsprodukt von 733 Milliarden Euro (2021). Der EN-Kreis ist eine stark geprägte Wirtschaftsregion mit mittelständischen Betrieben. IMAGE sprach mit Ralf Stoffels (60), seit 2021 Präsident der IHK NRW. Er ist, gemeinsam mit seinem Sohn Lutz, Geschäftsführender Gesellschafter der biw Isolierstoffe GmbH mit Hauptsitz in Ennepetal. Zur biw-Gruppe gehören rund 650 Mitarbeiter.
IMAGE: Die Wirtschaft erlebt nach der Corona-Pandemie durch Ukraine-Krieg, Energiekrise, Facharbeitermangel sowie gestiegene Kosten im Transport und bei vielen Materialien große Herausforderungen. Gerät der Wirtschaftsstandort NRW an seine Grenzen?
STOFFELS: Der Wirtschaftsstandort NRW ist in Gefahr. Seine Deindustrialisierung hat aus meiner Sicht bereits eingesetzt und es ist fünf nach zwölf. Keine neuen Industriegebiete, aber eine Vervielfältigung von Transport-, Material und Energiekosten. In unserem Unternehmen sind die Transport- und Rohstoffkosten um bis zu 80 Prozent gestiegen. Weil wir zu wenig Fachkräfte vor Ort haben, setzt sich unsere Mitarbeiterschaft aus 35 verschiedenen Nationaliäten zusammen. Die Lohnkosten und Steuern waren immer hoch, aber jetzt kommen Lieferkettenengpässe und hohe Energiekosten noch dazu. Die mittelständische Industrie, hinter der oft familiengeführte Betriebe stecken, ist aber an die Region gebunden. Sie kann und will nicht abwandern. Wir wollen mit dem Knowhow vor Ort bleiben und gleichzeitig unsere Heimat durch die Förderung sozialer und kultureller Projekte unterstützen Wir sehen darin wichtige Standortfaktoren.
IMAGE: Nach Schätzungen der Auskunftei Creditreform gab es 2022 rund 14.700 Insolvenzen bei Unternehmen, 4 Prozent mehr als 2021. In NRW ist die Zahl der Pleiten entgegen dem Bundestrend gesunken: 3700 Firmenpleiten entsprechen einem Minus von 7,3 Prozent gegenüber 2021. Trotzdem liegt NRW bundesweit nur auf Rang 13. Wie aussagekräftig sind diese Zahlen?
STOFFELS: Wenn ich auf die Wirtschaftskraft schaue, dann ist NRW immer noch das wirtschaftlich stärkste Bundesland und Südwestfalen ist die wichtigste Zuliefererregion. Wir haben, aufbauend auf Kohle und Stahl, immer noch viele Industriebetriebe. Ein Atom- und Kohleausstieg zum gleichen Zeitpunkt kann aber für ein Industrieland nicht funktionieren. Natürlich müssen Fragen zur Nachhaltigkeit gestellt werden. Aber ein Umbau der Industrie etwa auf Basis von Wasserstoff ist teuer und braucht Zeit. Ohne staatliche Unterstützung wird es nicht gehen. Wenn ein Unternehmen aufgrund der hohen Energiekosten ein Angebot bekommt, sich in den USA für zehn Jahre mit einem Festpreis von 1,5 Cent pro Kilowattstunde niederzulassen, dann muss das doch zu denken geben. Darüber hinaus macht es für mich auch keinen Sinn, Fracking abzulehnen, gleichzeitig aber LNG als Frackinggas zum mehrfachen Preis aus den USA zu importieren. Anderes Beispiel: Wir steigen hier aus der Kohle aus, importieren sie aber per Schiff aus dem australischen Tagebau. Das passt nicht zusammen.
IMAGE: Aber Nachhaltigkeit ist das industrielle Thema der Zukunft.
STOFFELS: Die Industrie macht sich Gedanken über die Einsparungen fossiler Energieträger. Wir haben es bei biw geschafft, zehn Prozent Energie bei den gasbetriebenen Öfen in der Produktion einzusparen. Das dürfte auch der Wert für andere NRW-Industriebetriebe sein. Wenn man aber gasbetriebene Brenner durch Modelle ersetzen würde, die auch eine Öl- oder Stromverwendung möglich machen, kann das doch wohl nicht im Sinne der Umwelt und der Kosten sein.
IMAGE: Seit der Corona-Pandemie ist das Stichwort Homeoffice in aller Munde. Vor allem im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf gilt es als zukunftsweisend. In der Industrie sind viele Arbeitsplätze nicht im Homeoffice möglich. Wie kann man die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. Pflege/Betreuung fördern?
STOFFELS: Seit zehn Jahren gibt es im EN-Kreis das Netzwerk „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“. Auch unser Unternehmen ist hier Mitglied. Wir versuchen, individuelle Lösungen für die betroffenen Personen zu finden. Das gelingt, weil die Entscheidungsträger der mittelständischen Industrie vor Ort sind und mit den Mitarbeitern sprechen, weil sie ein Interesse an Lösungen haben. Klar ist aber auch, dass man in der Industrie seinen Beruf nicht komplett im Homeoffice ausüben kann.
IMAGE: Stichwort Globalisierung: Wir müssen mit Abhängigkeiten durch die Gobalisierung leben. Gibt es eine Kehrtwende zu Deutschland oder NRW first?
STOFFELS: Die Globalisierung lässt sich nicht zurückdrehen. Der deutsche Markt ist für die Industrie nicht ausreichend. Wenn wir nicht weiter wachsen, dann schrumpfen wir. Und wenn wir schrumpfen, dann wachsen andere. Wir müssen auch in Zukunft ein weltweit vernetzter Industriestandort bleiben. Viele Rohstoffe, die unsere Industrie benötigt, kommen aus der ganzen Welt. Beispielsweise Silicium. Es kommt zu 80 Prozent aus China und wir brauchen es zum Beispiel für die Mikroelektronik oder die Photovoltaik. Auch eine wertebasierte Außenpolitik muss wirtschaftliche Abhängigkeiten in einem globalen Markt zur Kenntnis nehmen.
IMAGE: Die Politik ist verantwortlich für die Rahmenbedingungen zur wirtschaftlichen Entwicklung. Welche Forderungen haben Sie?
STOFFELS: Den Abbau der Bürokratie. Wenn man heute etwas vereinfachen möchte, ist das Ergebnis: Man behält die alte Regel und es kommt eine noch eine weitere dazu. Ein Beispiel: Um Zwangs- und Kinderarbeit in den Lieferketten auszuschließen - was jeder Unternehmer will - gibt es das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Das Gesetz ist ab 1. Januar 2023 für in Deutschland ansässige Unternehmen mit mind. 3.000 Beschäftigten und ab 1. Januar 2024 mit mind. 1.000 Beschäftigten anwendbar. Dazu hat das Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle 458 Fragen zur Beantwortung an die Unternehmen herausgegeben. Bürokratie bindet Ressourcenund führt zu Nachteilen innerhalb der EU und weltweit. Die Bürokratie bringt nicht das Ergebnis, sondern das Handeln. anja