Bündnis für Familie informiert Interessierte per Vortrag in Kooperation mit der Volkshochschule.
Sobald sie den Schulhof betreten, geht es los: Du Loser, du Arschloch. Sie werden gestoßen, getreten, ihre Schulsachen werden zerstört oder sie verschwinden. Im Internet tauchen Beleidigungen oder entwürdigende Fotos oder Videos von ihnen auf. Sie werden ausgegrenzt und sind im Klassenchat einfach nicht dabei. Für sie ist die Schulzeit eine Qual und ihre Erinnerungen werden später alles andere als glücklich sein. Diese Kinder und Jugendlichen sind von Mobbing betroffen.
Dabei sind die Betroffenen nicht immer von vornherein Außenseiter. Es kann durchaus Jungen und Mädchen treffen, die Teil einer Clique sind – und von einem bestimmten Zeitpunkt an immer weiter ins Abseits gedrängt werden. Auslöser kann dabei eine Kleinigkeit sein, die an sich völlig belanglos ist: der Pickel im Gesicht, ein ungeschicktes Verhalten. Schon lacht ein Mitschüler, beginnt zu schikanieren. Ein weiterer schließt sich an. Nach und nach setzt sich eine Spirale der Ausgrenzung in Gang, bis selbst vormals vertraute Klassenkameraden zu Peinigern geworden sind.
Mobbing ist kein Streit, sondern ein Gruppenphänomen
Diplom-Psychologe Thorsten Peters arbeitet seit Jahren in der Schulberatungsstelle des EN-Kreises in Schwelm. „Viele sprechen über Mobbing, und doch herrscht meist wenig Klarheit darüber, was Mobbing eigentlich ist. Mobbing ist kein Streit oder Konflikt. Mobbing ist ein Gruppenphänomen. Es ist ein System mit Täter, Opfer, Mitläufern, Zuschauer und Wegschauer. Es ist gezielt, systematisch und wird über einen längeren Zeitraum mit der Absicht betrieben auszugrenzen“, sagt Peters.
Was Mobbing tückisch macht: Die Übergriffe finden zunächst oft im Verborgenen statt – Eltern oder Lehrer bemerken (noch) nichts davon. Hinzu kommt: Mehr und mehr verlagern sich die Attacken aus dem Alltag auch als Cybermobbing in die digitale Welt. Damit sind Betroffene nicht einmal daheim sicher, denn sie können zu jederzeit und an jedem Ort gemobbt werden. Zudem ist die Hemmschwelle im Internet geringer, das Ausmaß der Beleidigungen häufig größer und die Täter können anonym bleiben. „Wer gemobbt wird, flüchtet oft in Einsamkeit und Isolation. Oder er tut so, als machten ihm die Attacken nichts aus – damit die anderen nicht merken, wie sehr er innerlich verletzt ist. Häufig breitet sich bei Betroffenen das Gefühl aus, selbst an ihrer Situation schuld zu sein. Sie verstummen aus Scham und büßen immer mehr an Selbstwertgefühl ein. Groß ist die Befürchtung, die Situation könnte sich noch verschlimmern, wenn Eltern oder Lehrer von den Schikanen erfahren. Viele versuchen daher, ihre Qual zu verbergen. Sie erleben immer größeren Stress, haben permanent Angst vor dem nächsten Übergriff“, beschreibt Peters die Situation.
Doch was kann man als Betroffener tun? „Das Wichtigste ist, sich einer erwachsenen Person anzuvertrauen. Das kann ein Elternteil sein, der Lehrer, aber auch jemand anders. Diese erwachsene Person muss dem Betroffenen drei Dinge vermitteln: Du bist nicht schuld. Du hast das nicht verdient. Es gibt einen Weg aus der Situation und diesen Weg gehst Du nicht allein.“ Die erwachsene Vertrauensperson setzt die Lösung in Gang. „Das ist auch der Punkt, an dem wir von der Schulberatung ins Spiel kommen. Wenn einer der Kollegen oder ich selbst hinzugezogen werde, dann gehe ich in der Regel in die Klasse, schaue mir das Geschehen an. Ich werde neutral vorgestellt. Ich beobachte und werde quasi zu einer nicht mehr explizit wahrgenommenen Tapete. Ich bin in den Pausen auf dem Schulhof. Es gibt in einer Klasse immer mehrere Gruppen neben dem von Mobbing Betroffenen und dem Menschen, der ihn schikaniert. Es gibt Klassenkameraden, die den Angreifer in seinem Verhalten bestärken, selbst aber nicht aktiv werden. Es gibt die Zuschauer, die nicht einschreiten, obwohl sie eigentlich gegen Mobbing sind. Und vielleicht gibt es auch jene, die den Betroffenen zwar trösten und sich mit ihm befreunden wollen – aber nur am Nachmittag, außerhalb der Schule, wenn es niemand anders mitbekommt. In jedem einzelnen Fall muss eine Lösung gefunden werden, die passgenau der Situation entspricht. Grundsätzlich aber gilt: Die Lösung liegt immer in der Gruppe.“
Wie können Eltern helfen?
Doch wie bemerken Eltern, dass etwas nicht stimmt und ihr Kind gemobbt werden könnte? „Sie müssen dem Kind zuhören und es beobachten. Verhält sich ihr Kind anders? Ist es zurückgezogen? Wenn sie von dem Mobbing erfahren haben, dann ist es keine Lösung, das Kind auf eine andere Schule zu schicken. Wer kann sagen, ob nicht die gleiche Situation auch hier erneut geschieht? Es ist auch keine gute Idee, mit den Eltern desjenigen zu sprechen, der als Angreifer gilt. Und noch viel weniger gut ist der Rat an das eigene Kind, es solle sich einfach wehren. Aus einer Mobbing-Situation wird der Betroffene nicht allein herauskommen. Jeder Lösungsansatz sollte gemeinsam mit dem Kind besprochen werden und nicht über seinen Kopf hinweg stattfinden.“ Wichtig ist auch: Dem Kind Mut machen! Es gibt in der Familie, in der Nachbarschaft, im Verein ganz sicher Bereiche, in denen das Kind wertgeschätzt und angesehen ist.
Doch warum mobben Menschen überhaupt? „Den meisten Tätern geht es vor allem darum, Machtgefühl zu erlangen. Sie genießen die Kontrolle, die Unterdrückung, die Angst der Mitschüler. Mobbing ist Machtmissbrauch. Zum Opfer kann theoretisch zwar jeder werden – doch meist suchen sich die Angreifer Menschen mit schwachem Selbstwertgefühl aus, die sich nicht gut wehren können. Der erste Schritt muss deshalb immer sein, sich einer erwachsenen Person anzuvertrauen und zu begreifen: das, was mir widerfährt und was ich erzähle, ist kein Petzen und es ist nicht in Ordnung, was mir widerfährt. Ich muss das nicht aushalten.“
Übrigens: Mobbing kann in jeder Zwangsgruppengemeinschaft entstehen – auch am Arbeitsplatz oder im Gefängnis. anja
Kontakt:
Regionale Schulberatungsstelle des Ennepe-Ruhr-Kreises, Wilhelmstraße 45, 58332 Schwelm, Tel.: 02336 / 932790, Fax: 02336 / 9312790, Mail: schulberatung@en-kreis.de.