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„Manchmal ist die Ritterburg cooler als die Barbie“

IMAGE-Serie „Starke Frauen“: Clarissa Bader, 1. Bevollmächtigte IG Metall EN-Ruhr-Wupper.

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Clarissa Bader (47, Foto) wurde in Kassel geboren, machte ihre Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation bei Thyssen Henschel, wurde 2003 Gewerkschaftssekretärin, wechselte 2008 zur IG Metall nach Gevelsberg-Hattingen. Im September 2010 trat sie dort die Nachfolge von Otto König als Erste Bevollmächtigte an. Sie war die erste Frau an der Spitze der IG Metall Gevelsberg-Hattingen. 2020 kam es zur Fusion der Geschäftsstelle mit Witten und Wuppertal. Die IG Metall Ennepe-Ruhr-Wupper hat heute 23.000 Mitglieder. An ihrer Spitze und im Portrait in der IMAGE-Serie „Starke Frauen“ steht Clarissa Bader.

IMAGE: Sie stehen als Frau an der Spitze der IG Metall Ennepe-Ruhr-Wupper und haben sowohl in Ihrer Funktion als Erste Bevollächtigte als auch in Ihrem Beruf als Politische Sekretärin mehrheitlich mit Männern zu tun. Das stelle ich mir nicht einfach vor. Fühlen Sie sich anerkannt oder haben Sie das Gefühl, als Frau Mehrarbeit leisten zu müssen?
BADER: Als ich vor zwanzig Jahren Gewerkschaftssekretärin wurde, war ich noch sehr jung. Damals hatte ich das Gefühl, mich als Frau besonders beweisen zu müssen. Das ging vorbei, als ich feststellte, dass ich über mein Wissen akzeptiert wurde. Als ich 2010 die Nachfolgerin von Otto König wurde, hat mich das Frausein im Hinblick auf meine neue Aufgabe sogar eher befreit. Ich muss als Frau nicht der bessere Mann sein.

IMAGE: Es waren große Fußstapfen, in die Sie damals getreten sind.
BADER: Wilhelm Busch hat einmal gesagt, wer in die Fußstapfen eines anderen tritt, der hinterlässt keine eigenen Spuren. Deshalb habe ich das persönlich nie so gesehen. Ich bin authentisch, durchsetzungsfähig und ich scheue keine Konflikte - wenn sie da sind und gelöst werden müssen. Ich werde nie laut, aber ich kann verbal andere durchaus in ihre Schranken verweisen. Ich sehe mich als empathisch mit offenen Ohren für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ich muss nicht jede Funktion jeder Maschine in den Betrieben kennen, um für die Sichtweise der Gewerkschaft und ihrer Menschen zu kämpfen. Ich denke, ich stehe auf der richtigen Seite und mein Beruf ist für mich ein sehr befriedigender Job. Ich liebe das, was ich tue.

IMAGE: Welche Inhalte gehören genau zu Ihrem Beruf?
BADER: Mein Beruf ist die Politische Sekretärin, die Erste Bevollmächtigte ist ein Wahlamt. Hier muss ich mich regelmäßig dem Votum der Mitglieder in der IG Metall stellen. Die nächsten Wahlen sind 2024. Neben der Betriebsbetreuung unserer Mitglieder führe ich Verhandlungen mit Arbeitgebern. Ich bin die Geschäftsführerin der Geschäftsstelle, ich bin zuständig für personelle Fragen und ich bin Mitglied in Beiräten und in der Großen Tarifkommission. Und natürlich bin ich bei meinen Aufgaben nicht allein, sondern werde von einem fachkompetenten Team dabei unterstützt.
IMAGE: Die aktuellen Forderungen der Gewerkschaft wie Vier-Tage-Woche und mehr Work-Life-Balance stoßen nicht überall auf Gegenliebe.
BADER: Man muss hier genauer hinsehen. Es ist ein Unterschied, ob die gleiche Arbeit auf vier statt wie bisher auf fünf Tage verteilt werden soll - oder ob die Forderung nach einer Vier-Tage-Woche mit einer Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden verknüpft ist. Die Umstellung von Produktionslinien in der Stahlindustrie - etwa durch die Energiewende im Hinblick auf grünen Stahl - wird gegenwärtige Arbeitsinhalte reduzieren und das bedeutet mittel- bis langfristig weniger Arbeit. Als Gewerkschaft haben wir die Aufgabe, vor diesem Hintergrund die Existenzgrundlage unserer Mitglieder zu sichern.
Hinzu kommt, dass sich die Konzernstrukturen sehr verändert haben. Viele Entscheidungsträger sind nicht mehr vor Ort. Manager bekommen oft befristete Verträge für einen kurzen Zeitraum. Ist der Vertrag beendet, ziehen sie einfach weiter. Oder der Großkonzern beschließt die Abspaltung eines kleinen Teilbereichs vom Unternehmen - schließlich geht es ja immer um den maximalen Profit. Als Gewerkschaft müssen wir aber auf die langfristigen Strukturen und die Konsequenzen für die Mitarbeiter schauen. Hier können wir die Bedingungen verhandeln. Eine Mitsprache bei den wirtschaftlichen Strukturen haben wir aber nicht.

IMAGE: Wo sehen Sie die größten beruflichen Nachteile für Frauen?
BADER: Zunächst einmal glaube ich, dass viele Verhaltensweisen durch die Sozialisation in der Kindheit entstehen. Männer zweifeln weniger als Frauen - weil sie auch heute noch oft anders erzogen werden als Mädchen. Ich habe einen großen Bruder und schon in meiner Kindheit gelernt, mich auch Jungs gegenüber durchzusetzen. Die Ritterburg war manchmal cooler als die Barbie - obwohl ich natürlich auch unter den Mädchen Freundinnen hatte. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal meine Haare sehr kurz tragen musste und viele Menschen in mir einen Jungen sahen - das hat mich total genervt. Ich war schon gerne Mädchen, aber ich habe eben auch gelernt, mich als Mädchen durchzusetzen. Ich glaube, dass das im späteren Berufsleben eine sehr wichtige Grundlage ist. Im Beruf selbst ist es sicherlich einer der größten Nachteile für Frauen, dass sie auch heute noch nicht überall den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit wie die Männer erhalten. Und dass viele Frauen aufgrund der Unvereinbarkeit von Familie und Beruf in der Teilzeitfalle festhängen. Das hat finanzielle Auswirkungen - auch auf die spätere Rente der Frauen. Es macht aber auch etwas mit dem Selbstbewusstsein der Frauen. Und es ist - neben der Bezahlung - ein Grund, warum Frauen in technischen Berufen nicht ankommen. Weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hier nicht da ist.

IMAGE: Es wird aber doch in den Schulen zum Beispiel mit der Förderung von Mädchen in den sogenannten MINT-Fächern, also den naturwissenschaftlich-technischen Fächern, viel getan. Fruchtet das nicht?
BADER: Eigentlich müssten wir schon längst die Debatte um Männer- und Frauenberufe hinter uns gelassen haben. Dazu gehört auch die Diskussion, Mädchen über MINT-Fächer zu fördern. Das ist alles immer noch die Rosa-Hellblau-Falle. Es muss selbstverständlich werden, dass sich jeder für jeden Beruf interessieren kann und im Rahmen der Ausbildung eine Chance bekommt ihn zu lernen. Das darf mit dem Thema Junge oder Mädchen nichts mehr zu tun haben.

IMAGE: Was raten Sie jungen Frauen heute?
BADER: Macht das, worauf ihr Lust habt! Sucht euch weibliche Vorbilder und bildet Banden. Mein Vorbild ist Christa Schmitthenner, die 1. weibliche Bevollmächtigte, die ich kennenlernen durfte. Heute coache ich weibliche Führungskräfte bei der IG Metall und versuche dadurch, jungen Frauen zur Seite zu stehen. anja