Zusammen mit Thomas Weiß, Stadtarchivar in Hattingen, schlägt IMAGE regelmäßig ein historisches Kapitel der Stadt auf. Diesmal geht es um die Schlagzeilen des Stadtarchivars. Mit Blick auf das Jahr 2020 sagt er: „Das war ein historisches Jahr für uns alle.“
Thomas Weiß vor Schriftstücken und Denkmälern aus dem Stadtarchiv: Die Rede ist von Menschen, die der Cholera zum Opfer fielen und von Maßnahmen auf einem Plakat aus dem Jahr 1923 mit Ausgangssperre und Versammlungsverbot.
In unserer Serie „Hattingen historisch“ wirft IMAGE mit Hilfe von Stadtarchivar Thomas Weiß einen Blick in alte Zeiten. Doch auch das zu Ende gehende Jahr wird auf besondere Art und Weise in die Geschichte eingehen.
„Bei der Durchsicht der Schlagzeilen 2020 gibt es eigentlich nur eine Sache - Corona. Alles andere, was wir über Jahre oder Jahrzehnte gewohnt waren, hat es nicht gegeben“, sagt Thomas Weiß. Dennoch findet der Stadtarchivar gerade diesen Jahresrückblick extrem spannend. „Zum ersten Mal seit dem Ende vom Zweiten Weltkrieg erleben wir, dass jeder Einzelne durch die Corona-Pandemie aktiver Teil der Geschichte ist, weil diese Pandemie als Gemeinschaftserlebnis wirklich jeden Menschen betrifft. Unser bequemes Leben, welches wir viele Jahre gelebt haben, ist komplett aus den Fugen geraten. Niemand kann sagen, was kommen wird und wie sich das Virus entwickeln wird. Die Langzeitfolgen sind völlig unbekannt. Wir wissen im Grunde nichts, sondern nur dies: Selbstverständliches ist nicht mehr selbstverständlich.“
Für Thomas Weiß sind die Schlagzeilen aus dem Jahr 2020 von abgesagten Veranstaltungen jeder Art, von Schließungen ganzer Berufsbranchen und vor allem von den Einschränkungen, die jeden Menschen mehr oder weniger hart treffen, Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses. „Waren wir bisher so unterwegs, dass jeder Mensch mit seinen persönlichen Bedürfnissen nach Erfüllung schrie, so geht es jetzt um das Zurückstellen zugunsten des Allgemeinwohls.“
Doch wie jede Krise, setzt auch die Corona-Pandemie Kreativität frei. „Das zeigt sich in Schlagzeilen zu Themen, die wir vorher gar nicht hatten. Ein Stau auf dem Ruhrtalradweg oder Diskussionen über Wanderparkplätze in der Elfringhauser Schweiz, neue Arbeitsformen und deren steuerliche Förderung wie Home-Office oder Wortkreationen wie Homeschooling - wäre alles ohne die Pandemie so nicht denkbar gewesen und schon gar nicht in der Geschwindigkeit.“
Vor allem die Kontaktbeschränkungen gehen für den Stadtarchivar mit Reduktion des empathischen Lebens zusammen. „Kontaktbeschränkungen hatten wir immer mal wieder beim Blick in die Geschichte. Wenn wir heute im Fernsehen Filme ansehen, die Ereignisse vor ein paar Jahren zeigen oder Fotos anschauen von Altstadtfesten, dann staunen wir doch jetzt schon über die Masse Mensch, die eng zusammensteht. In unserem Kopf sind wir das schon nicht mehr gewohnt.“
Veranstaltungskreativität gibt es dennoch. „Man denke an Strandkorb open air, an das Autokino, an digitale Formate, die sich blitzschnell entwickelt haben. Oder auch an das südländische Flair durch die Außengastronomie im Sommer.“
Dennoch: „Die Schlagzeilen über die Schließung der Theater geht zusammen mit der Frage nach Motivation und Gesundheit. Der Heldentenor war vielleicht früher nur schmerzhaft für die Ohren, heute kann er durch Aerosole eine gesundheitliche Gefahr für sein Publikum darstellen. Das hat schon ganz besondere Dimensionen. Wurde ein Event vor dem Hintergrund kreiert, möglichst viele Menschen zu erreichen, muss man es nun so planen, dass nur eine bestimmte Zahl kommen kann.“
Aber: „Positive Schlagzeilen sind für mich klar die Kommunalwahlen gewesen, obwohl die Wahlbeteiligung beschämend war. Doch die große Zahl junger Ratsmitglieder, auch hier in Hattingen, macht Mut und bietet Hoffnung. Das geht durch alle Parteien und zeigt mir, dass viele junge Menschen gestalterisch und kreativ unterwegs sind.“