Bei der Verleihung des „Hattinger Löwen” wurde das Hattinger Stadtmodell live in Gießharz ausgegossen. Im nächsten Jahr wird ein großer Bronzeguss offiziell an die Stadt überreicht. Geplant ist aber auch diese kleinere Variante für interessierte Hattingen-Liebhaber.
Holzbildhauermeisterin Anja Nessler bei der Arbeit in der St. Georgs-Kirche
Im Original wird es eine Größe von 1 mal 1,20 Meter haben – das Hattinger Stadtmodell, ausgegossen in Bronze, an dem die Holzbildhauermeisterin Anja Nessler arbeitet. Doch eine Handvoll Hattingen konnte man bereits bei der Verleihung des „Hattinger Löwen“ in der St. Georgs-Kirche bewundern. Holzbildhauermeisterin Anja Nessler sorgte für faszinierende Ein- und Augenblicke in ihre Arbeit.
Eine handwerklich-kreative Ader wurde ihr in die Wiege gelegt. Doch am Anfang sah es noch nicht so aus, als ob die Sprockhövelerin beruflich in die Kunst gehen würde. Nach dem Abitur studierte sie Biologie – doch sobald sie von der Uni nach Hause kam, arbeitete sie mit den Händen und erkannte: Die Wissenschaft von den Gesetzmäßigkeiten des Lebens von Menschen, Pflanzen und Tieren findet sie zwar schön, aber ihr fehlt die Handarbeit. Sie schlägt eine andere Richtung ein: die Ausbildung als Holzbildhauerin in Herzebrock in der Nähe von Gütersloh schien das Richtige zu sein – ein Ausbildungsplatz, der einem nicht vor die Füße fällt, den man sich schon suchen muss. Danach folgen zwei Jahre Südtirol an der Landesfachschule für Holzbildhauer. Nach der Rückkehr ins beschauliche Sprockhövel stellte sich dann doch die Frage, was nun anzufangen war mit der gelernten Kunst. Denn das Schnitzen wollte hier nur schwer für den Broterwerb reichen. Doch wie das so ist im wahren Leben – man trifft zufällig auf Menschen, die einen manchmal in die passende Richtung schieben. Anja Nessler macht ein Praktikum beim WDR in der Plastikerwerkstatt. Die berufliche Reise nimmt Fahrt auf - sie arbeitet mit verschiedenen Materialien, entwirft Skulpturen und Landschaften für Fernsehsendungen. Sie lernt das Zweckentfremden von Materialien und kommt in der früheren Männerdomäne Bühnenbau an. Nach fünf Jahren wechselt sie in eine Festanstellung ans Theater nach Essen, von dort zu den Wuppertaler Bühnen, arbeitet unter anderem mit an Bühnenbildern für Pina Bausch. Eine wunderbare Zeit, die leider durch den Rotstift im Stadtsäckel beendet wird. Danach renoviert sie in ihrer schöpferischen Zwangspause erstmal ein Haus – sie ist eben keine Frau für lackierte Fingernägel. French art - ja bitte, French Design – nein danke.
Handwerkliche Bildhauerkunst
Dann meldet sich die Kunst zurück – falls sie denn überhaupt weg war. Durch den langjährigen Kontakt mit dem Künstler Stephan Marienfeld rückt plötzlich das Hattinger Wohnzimmer als Stadtmodell in ihr Leben. Enge verwinkelte Gassen, welche Höhe haben welche Häuser, wie lang und breit ist die Stadtmauer – ihre Streifzüge durch die Altstadt mit dem Maßband klären viele Fragen, werfen aber auch neue auf: Um detailgetreu zu arbeiten muss jede Form, jedes Haus, maßstabgetreu sein. Auch die Topographie im hügeligen Hattingen muss stimmen. Das ist nicht allein mit dem Abgehen der Gassen und den Akten des Bauamtes getan – das Maß aller Dinge muss anders gehen. Sie sucht nach dreidimensionalen Daten über Hattingen, wird zwar fündig, aber sie reichen für ihre Arbeit nicht aus. Also lässt sie sich die Daten von einem professionellen Unternehmen noch einmal neu dreidimensional zeichnen. Mit einem eigenen 3-D-Drucker entsteht aus dem Datensatz ein Prototyp für die weitere künstlerische Arbeit. Dreißig Einzelteile hat Anja Nessler hat gedruckt – der Druck von jedem Einzelteil dauerte zwischen 15 und 20 Stunden. „Jetzt beginnt die eigentliche bildhauerische Arbeit. Von dem gedruckten Objekt wird eine Negativform erstellt, die mit Modellierwachs ausgegossen wird. Dieses Wachspositiv wird per Hand individuell modelliert, sodass eine lebendige kleine Stadt entsteht. Jedes Detail wird liebevoll gearbeitet und beispielsweise durch Fenster, Türen und Vegetation ergänzt. Dann kommt das fertige Modell in die Bronzegießerei“, erzählt die Bildhauermeisterin, die mit dieser Arbeit drucktechnische Ergebnisse und handwerkliche Bildhauerkunst verbindet. 2020 wird ihr Modell mit dieser Legierung aus Kupfer und Zinn gegossen - als gemeinsames Projekt der Hattinger Lions und Rotarier und als Geschenk für die Stadt Hattingen.