Zusammen mit Stadtarchivar Thomas Weiß besuchen wir in der Serie „Historische Orte“ alte Gebäude und Plätze. Thema heute: Vereinigte Flanschenfabriken Leo Gottwald und Mönninghoff.
Wer durch die Hattinger Engelbertstraße fährt und Richtung Alter S-Bahnhof abbiegt, sieht Industriehallen, in denen sich unterschiedlichste (Klein-)Unternehmen befinden. Früher befand sich hier die 1886 gegründete „Essener Flanschenfabrik und Stanzwerk Ernst Hoefinghoff“. Eine Flansche ist ein Verbindungsstück zwischen zwei Rohren oder anderen Maschinenteilen. Das Unternehmen war ein großer Arbeitgeber in Hattingen.
DIE SERIE: HISTORISCHE ORTE
Nach dem Tod des Firmengründers 1901 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.
Die wirtschaftliche Lage ist labil. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges stellt das Unternehmen zunehmend Kriegsmaterial her. 1916 werden täglich mindestens 500 Granaten abgeliefert und der Betrieb bleibt trotz des Krieges in vollem Umfang erhalten. Im gleichen Jahr treffen auch die ersten Kriegsgefangenen ein, die die stark dezimierte Arbeiterschaft unterstützen müssen. Nach dem Ersten Weltkrieg erwirbt die jüdische Familie Stern 1920 die Aktienmehrheit der Vereinigten Flanschenwerke. Durch die Verwertung nicht mehr benötigten Kriegsmaterials hatte die Firma große Gewinne erzielt und verfügte über erhebliche finanzielle Mittel. So wurden beispielsweise Kriegsschiffe auseinandergeschweißt und der Stahl gewinnbringend verkauft. Für die Max Stern GmbH war der Firmenkauf eine sehr gute Geldanlage. Doch die zwanziger Jahre verliefen bei Weitem nicht so golden, wie sie begannen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nahmen zu, die Belegschaft sank bis 1931 auf 156 Arbeiter und Beamte. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 versuchte Max Stern zwar durch einen personellen Austausch das Unternehmen in seinen Händen zu bewahren, es gelang ihm jedoch nicht. Als nicht-arischer Betrieb fehlten die Aufträge. 1938 übernimmt Generalkonsul Leo Gottwald aus Düsseldorf die Mehrheit der Aktiengesellschaft und wird zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt. Für die Übernahme machte Gottwald der Familie Stern ein Angebot von 140 Prozent. Die Firma und ihre Gebäude überstehen trotz Luftangriffen den Zweiten Weltkrieg. Rund 150 Kriegsgefangene und 100 Militärinternierte werden als Zwangsarbeiter eingesetzt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird Leo Gottwald zum großen Kümmerer der Belegschaft, die für ihn durch das „Feuer ging“. Gottwald sammelte früh finanzielle Reserven, sodass er die Ansprüche des früheren Besitzers Stern, der in den USA lebte, erfüllen konnte und die Entschädigung zahlte. Das Unternehmen florierte und wurde zum größten Flanschenwerk Europas. 1956 wird im August der tausendste Gottwalder eingestellt. Für besondere Verdienste wurde der bronzene oder silberne Flansch an die Arbeiter verliehen. Große Summen spendete der Unternehmer für die Stadt, unter anderem für das Sportzentrum in der Talstraße. 1971 erhielt er als erster Bürger der Stadt Hattingen den Ehrenring verliehen. 1974 verstirbt Gottwald. 1980 wird das Unternehmen an die Mönninghoff-Gruppe verkauft. Schon drei Jahre später droht die Schließung, die zunächst durch einen Arbeitskampf noch abgewendet werden kann. Der IG Metaller Otto König, der zu einer der führendsten Hattinger Figuren im Arbeitskampf werden sollte, geht voran. 1984 wird der Betrieb von der Belegschaft besetzt, um das Werk durch die Belegschaft weiterzuführen. Das Vorhaben scheitert am Widerstand der Banken, im Juni 1984 ist die letzte Schicht. Von Dr. Anja Pielorz