Sonja Leidemann, SoLei-Geschäftsführerin, Vorstandsmitglied Dörken-Stiftung.
Sonja Leidemann (64) ist heute Geschäftsführerin der SoLei Unternehmens- und Kommunalberatung mit Sitz in Leverkusen. Seit 2020 ist die Sozialdemokratin Mitglied im Ruhrparlament, seit Mai 2023 außerdem Vorstandsmitglied der Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung. Die Wittener Bürgermeisterin von 2004 bis 2020 wurde in Hattingen geboren, studierte Geschichte und Politik an der Ruhr-Universität Bochum und absolvierte ein berufsbegleitendes Studium in Organisationspsychologie. 1998 übernahm sie die Leitung der Volkshochschule Witten, Wetter und Herdecke, bevor sie 2004 die Wahl zur Wittener Bürgermeisterin gewann. Heute bringt sie in ihren neuen Aufgaben die langjährigen Erfahrungswerte aus Verwaltung und Politik ein und genießt die Beschäftigung mit Kunst, Kultur und Musik.
Sonja Leidemann hat zwei Kinder und fünf Enkelkinder.
IMAGE: Ihre Kindheit lag in den siebziger Jahren. Wenn Sie sich an diese Zeit erinnern – waren Sie ein typisches Mädchen oder wurden Sie so erzogen?
LEIDEMANN (lacht): Absolut. Ich habe einen Zwillingsbruder. Da waren die Rollen von Anfang an verteilt. Allerdings habe ich auch gelernt, mich durchzusetzen. Und mütterlicherseits gab es immer starke Frauen in unserer Familie. Das hat mir schon geholfen. Aber in meiner Kindheit war ich schon sehr Mädchen – mit klassischem Puppenspielzeug wie das „Schlummerle“.
IMAGE: Nach dem Abitur haben Sie Geschichte und Politik studiert. Waren oder sind Sie eher ein Mensch der Worte oder der klassischen MINT-Fächer?
LEIDEMANN: Ich habe immer sehr gerne gelesen und das mache ich auch heute noch. Meine Großmutter wohnte neben mir und es war jedesmal toll, wenn sie mir ein paar Mark in die Hand drückte und ich damit losziehen konnte, um ein Buch zu kaufen. In meiner Kindheit natürlich Hanni-und-Nanni-Bücher. Deutsch und Geschichte waren schon in der Schule meine Lieblingsfächer. Die klassische Förderung von Mädchen in den sogenannten MINT-Fächern gab es damals noch gar nicht. Aber es gab sie später bei meiner Tochter. Sie hat sich dafür begeistert und in Aachen Werkstoff-Ingenieur studiert. Heute arbeitet sie in Leverkusen bei einem großen Chemie- und Pharmakonzern. Ich finde die Förderung von Mädchen in MINT-Fächern sehr gut. Gerade im IT-Bereich und vor allem in Führungspositionen gibt es noch viel zu wenig Frauen.
IMAGE: Oft hört man, dass Frauen härter arbeiten müssen als Männer und trotzdem weniger Geld verdienen. Stimmen Sie dem zu?
LEIDEMANN: Ja, das ist in vielen Berufen heute immer noch so. Deshalb finde ich den Equal Pay Day so wichtig. Frauen sind im Durchschnitt in geringerem Umfang beschäftigt als Männer, übernehmen zusätzlich einen Großteil der sorgenden Arbeit bei Kindern, alten Eltern und im Haushalt. Das führt dazu, dass die Frauen nicht nur ein durchschnittlich geringeres Einkommen haben, sondern es führt auch viele Frauen zu geringeren Rentenansprüchen und auf direktem Weg in die Altersarmut. Daher muss neben der Forderung von gleichem Lohn für gleiche Arbeit natürlich auch die Förderung von Frauen stehen, in einem Job zu arbeiten, von dem sie leben können.
IMAGE: Es gibt aber immer noch zu wenig Frauen in Führungspositionen. Warum?
LEIDEMANN: Ich denke, das liegt daran, dass die männlichen Netzwerke immer noch viel besser funktionieren und dominanter sind als dies bei Frauen der Fall ist. Es mag sicherlich abhängig sein von der persönlichen Situation, aber viele Frauen stehen zwischen der Betreuung ihrer Kinder und ihrer Eltern oder Schwiegereltern. Kommen dann Herausforderungen wie die mangelhafte Betreuungssituation der Kinder in Kita und Ganztagsschule hinzu – beispielsweise aufgrund von Fachkräftemangel oder Ferienzeiten –, dann ist doch klar, dass diese Situation nicht dazu führen kann, dass Frauen verstärkt in Führungspositionen gelangen.
IMAGE: Gehen Kinder und Beruf oder Karriere denn überhaupt zusammen?
LEIDEMANN: Ja, das tut es. Das sieht man an meiner Biografie. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und habe immer den Anspruch an mich selbst gehabt, aus meinem Leben etwas zu machen. Leistung war und ist mir wichtig und ich mache das gerne. Das war auch so, als meine Kinder noch klein waren. Ich habe zwei Kinder und habe immer gearbeitet. Ich habe aber auch immer die Unterstützung meiner Mutter gehabt und war nicht nur auf die Betreuung durch Institutionen angewiesen. Heute ist das hybride Arbeiten im Wechsel von Homeoffice und Präsenz in manchen Berufszweigen eine Chance, Arbeitszeiten noch mehr zu flexibilisieren. Das kann allerdings nicht jeden Bereich betreffen, etwa im produzierenden Bereich.
IMAGE: Führen Frauen anders als Männer?
LEIDEMANN: Frauen führen auf jeden Fall anders als Männer. Grundsätzlich haben sich die Führungsstile im Laufe der Geschichte aber geändert. Gab es früher oft die autoritäre Führung, so geht es heute mehr um Teamfähigkeit und um Motivation. Es geht um Empathie. Ich glaube, hier sind Frauen gut aufgestellt. Paradox ist nur, dass diese wichtigen Kompetenzen auf dem Weg nach oben eben gerade nicht förderlich sind. Denn Frauen sind im Berufsleben oft rücksichtsvoller und schauen auf die Bedürfnisse des Teams. Das ist toll für das Team, aber nicht immer zielführend für die eigene Karriere. Vielleicht auch ein Grund, warum es auf Führungsebenen so wenig Frauen gibt.
IMAGE: Haben Sie selbst denn berufliche Nachteile erfahren, weil Sie eine Frau sind?
LEIDEMANN: Nein. Ich habe mich immer durchgesetzt. Im Laufe des Lebens legt man sich auch einen Schutzmantel zu, aber wenn es drauf ankam, dann war ich kämpferisch unterwegs.
IMAGE: Was raten Sie jungen Frauen heute in Sachen Berufsfindung und Berufstätigkeit?
LEIDEMANN: Mädchen sollten eine neigungsorientierte Berufswahl treffen. Sie sollten sich klar machen, was sie wirklich wollen. Und dann nicht zögern, sondern es einfach machen. anja