Logo
Gesundheit

Emotionale Diskussion um ein großes Tabu-Thema

Charta-Tisch Pflege: Darf die Palliativmedizin assistierten Suizid ermöglichen?

GES-SYM-Depression-Trauer-Pixabay-Dez2025.jpg

Die IMAGE-Weihnachtsausgabe ist in weiten Teilen eine fröhliche und weihnachtliche Ausgabe. Aber mit diesem Bericht wollen wir ein Tabu brechen und das ganz bewusst in der Weihnachtsausgabe. Denn zur Geburt und zum Leben gehört auch das Sterben. Bei den regelmäßigen Charta-Tischen zur Pflege kommen Menschen aus unterschiedlichen Pflegeeinrichtungen in Hattingen zusammen. Ziel ist die Vernetzung und der Austausch von Wissen, um insbesondere Menschen in ihrer letzten Lebensphase möglichst viel Lebensqualität und am Lebensende die persönliche Würde und eine gute Begleitung zu ermöglichen. Diesmal ging es um ein besonders schwieriges Thema: Darf die Palliativmedizin auch assistierten Suizid ermöglichen? 
Hintergrund ist der Tod der Zwillinge Alice und Ellen Kessler, die gemeinsam und geplant aus dem Leben geschieden sind. Die Zwillinge hatten sich an die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben gewandt, die wie auch andere Vereine Sterbebegleitung vermittelt.

Die rechtliche Lage
Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland strafbar. Damit ist eine Tötung auf Verlangen gemeint, wenn etwa jemand einem Sterbewilligen ein tödliches Mittel verabreicht. Erlaubt ist jedoch, lebenserhaltende Maßnahmen nach dem Willen des Patienten abzubrechen. Auch der assistierte Suizid ist straffrei, solange der Sterbewillige entscheidungsfähig ist: Dabei wird beispielsweise ein tödliches Mittel beschafft oder bereitgestellt, das der Patient oder die Patientin allerdings selber einnehmen muss. 
Das Bundesverfassungsgericht unter dem damaligen Vorsitzenden Andreas Voßkuhle entschied 2020, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben die Freiheit einschließe, sich das Leben zu nehmen und auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Das gilt ausdrücklich für jeden, nicht nur für unheilbar Kranke. (Aktenzeichen 2 BvR 2347/15 u. a.) Es gibt aber keinen Anspruch auf Hilfe und ein Mediziner muss auch nicht gegen seine Überzeugung diese Hilfe leisten. Kritiker dieses Urteils sehen vor allem in der Selbstbestimmung des Betroffenen Schwierigkeiten, weil sie hinterfragen, wie man zweifelsfrei ermitteln will, dass die selbstbestimmte Entscheidung tatsächlich eine solche sei und nicht von außen oder aufgrund des Druckes Dritter zustande gekommen sei. Hier sieht man die Politik in der Pflicht, eine genaue Gesetzeslage zu schaffen. Bislang gab es zwar dazu Bemühungen, die aber nicht zu einer mehrheitlichen Entscheidung im Bundestag führten. Das zeigt eben auch, wie schwierig das Thema ist.

Was bedeutet Palliativmedizin?
Unter Palliativmedizin versteht man die Versorgung eines Menschen, der schwer erkrankt ist und dessen Heilung nach medizinischem Wissen nicht mehr möglich ist. Die palliative Versorgung ist auf eine größtmögliche Schmerzlinderung ausgelegt und möchte dem Erkrankten eine Rest-Lebenszeit ermöglichen, die er möglichst frei von Beschwerden verleben soll. Dazu muss der Betroffene über seinen Hausarzt in ein Palliativnetzwerk eingeschrieben sein. Palliativmediziner und palliativ geschultes Pflegepersonal (und bei Bedarf ehrenamtliche Hospizler) kümmern sich um den Erkrankten. Möglich ist diese Versorgung grundsätzlich sowohl zuhause als auch in einer stationären Pflegeeinrichtung. 
Die Palliativmedizin will im Sterben mehr Leben geben, aber den Sterbeprozess nicht aufhalten. Über Todeswünsche des Betroffenen darf und soll gesprochen werden. Unter palliativer Sedierung ist der überwachte Einsatz von Medikamenten zu verstehen mit der Absicht, das Bewusstsein zu reduzieren oder auszuschalten, um so die Belastung durch sonst unerträgliches und durch keine anderen Mittel beherrschbares Leiden zu lindern. Die Intention liegt aber auch hier nicht in der Beschleunigung des Todeszeitpunkts.
Ob die Palliativmedizin assistierten Suizid und damit Einfluss auf den Todeszeitpunkt ermöglichen darf, ist eine schwierige Frage. Die Palliativmedizin bietet aus ihrem lebensbejahenden Ansatz heraus Hilfe beim Sterben an, jedoch nicht Hilfe zum Sterben. Daher gehört es aus Sicht des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) nicht zum Grundverständnis der Palliativmedizin, Beihilfe zum Suizid zu leisten oder über die gezielte Durchführung eines Suizids zu beraten. In Deutschland gibt es nur wenige Ärzte, die als Palliativmediziner auch den sogenannten medizinisch assistierten Suizid begleiten. Einer von ihnen ist der Wittener Arzt Dr. Matthias Thöns, der in diesem Jahr für seine allgemeinen und großen Verdienste in der Palliativ- und Notfallmedizin das Bundesverdienstkreuz erhielt.

Was bedeutet asssistierter Suizid?
Suizid ist laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Akt der vorsätzlichen Selbsttötung. Der Bundesgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung von der Straflosigkeit der Selbsttötung aus, wenn sie frei und eigenverantwortlich gewollt und verwirklicht ist. 
Beihilfe zum Suizid (assistierter Suizid) leistet, wer einem Menschen, der sich selbst tötet, dabei Hilfe leistet. Diese Hilfe kann vielfältige Formen haben, sie kann z.B. darin bestehen, jemanden zu einer Sterbehilfeorganisation im Ausland zu fahren, Medikamente zu besorgen, einen Becher mit einer tödlichen Substanz zuzubereiten und hinzustellen. Wichtig: der Sterbewillige muss den Akt des Sterbens selbst vollziehen. Nur dann ist Beihilfe zum Suizid in Deutschland straffrei. Dies gilt auch für den ärztlich assistierten Suizid. 
Aus juristischer und psychologischer Sicht muss jedoch feststehen, dass der Sterbewille nicht durch eine psychische Erkrankung hervorgerufen wird, langanhaltend existiert, getragen vom eigenen und freien Willen. Eine Aufklärung im Hinblick auf alle zur Verfügung stehenden medinischen Möglichkeiten muss erfolgen und schließlich muss klar sein, dass nach dem assistierten Suizid die Polizei gerufen werden muss, die bei einem nicht-natürlichen Tod Ermittlungen aufnimmt.

Thema Ambulanter Hospizdienst
Der Ambulante Hospizdienst Witten/Hattingen e.V. berät zu allen Fragen um Palliativmedizin, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Er begleitet palliativ und hospizlich und vernetzt mit den richtigen Institutionen. Beratungen an: jedem ersten Montag im Monat, 14 bis 16 Uhr, Bürgercafé Holschentor, Talstraße 8; jedem zweiten Donnerstag im Monat, 11 bis 14 Uhr, Bürgertreff Welper, An der Hunsebeck 18; jedem dritten Freitag im Monat, 10 bis 12 Uhr, Freilligenbörse Sprockhövel, Hauptstraße 44 und jedem vierten Dienstag im Monat, 15 bis 17 Uhr, Seniorenwohnheim Heidehof Niederwenigern.
Der Ambulante Hospizdienst Witten/Hattingen steht zur Verfügung: 
Regionalbüro WITTEN, Andrea Glaremin und Susanne Gramatke, Pferdebachstr. 39a in 58455 Witten; Telefon 02302 589 39 26 oder Mobil 0174 972 62 65; E-Mail: ahd@diakonie-ruhr.de.
Regionalbüro HATTINGEN, Silvia Kaniut (beruflich nachfolgend ab 1.1.2026 Hannah Pfeiffer) mobil 0174 97 97 029 oder E-Mail AHD-Hattingen@gmx.de; Andreas Fleer, mobil 0151 57 99 28 81 oder E-Mail AHD-Fleer@gmx.de.
Nächster Termin Charta-Tisch Pflege: Donnerstag, 22. Januar, 15 Uhr, Ambulanter Hospizdienst Regionalbüro Hattingen, Krämersdorf 3 in Hattingen. Von Dr. Anja Pielorz