Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko der Erkrankung. Frühzeitiges Erkennen der Krankheit ist wichtig.
Die Klinik für Geriatrie und Tagesklinik am Ev. Krankenhaus Witten befasst sich mit Diagnostik und Therapie internistischer und neurologischer Erkrankungen im Alter. Der ganzheitliche Therapieansatz bezieht alle für das jeweilige Krankheitsbild betroffenen medizinischen Abteilungen mit ein. Neben Ärzten und Pflegepersonal gehören dazu Krankengymnasten, Ergotherapeuten, Logopäden, Sozialarbeiter, der Wundbeauftragte und der Krankenhausseelsorger. Wir haben mit Chefarzt Stephan Ziemke und Oberärztin Anja Ranft über das Thema Demenz gesprochen.
IMAGE: Sind Demenz und Alzheimer gleichbedeutend?
ZIEMKE: Alzheimer ist eine der verschiedenen Demenzformen, aber es gibt noch eine Vielzahl anderer. Unter Demenz verstehen wir einen krankheitsbedingten Verlust von Gehirnfunktionen. Dabei ist Demenz keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Syndrom, das heißt eine Kombination von bestimmten Symptomen. Diese sind der Verlust des Gedächtnisses und des Denk- und Orientierungsvermögens. Es können Verhaltensänderungen auftreten. Diese Beschwerden schreiten in der Regel voran und der Betroffene bekommt zunehmend Schwierigkeiten, seinen Alltag zu bewältigen und verliert zunehmend seine Selbstständigkeit. Wir unterscheiden primäre und sekundäre Demenzformen. Die Alzheimer-Erkrankung gehört zu der primären Demenzform. Hirnzellen sterben nach und nach ab und die Verbindungen zwischen ihnen gehen verloren. Bei den sekundären Demenzen sind die Symptome nicht in erster Linie durch den Abbau von Hirngewebe bedingt. Sie treten als Folge anderer Erkrankungen auf, die ihren Ursprung oft nicht im Gehirn haben. Beispiele sind Schilddrüsenerkrankungen, Vitamin-Mangelzustände und chronische Vergiftungen durch Alkohol oder Medikamente. Werden sie rechtzeitig erkannt, und die auslösende Ursache beseitigt, sind sekundäre Demenzen potentiell heilbar. Die Formen der primären Demenz sind bisher nicht heilbar.
IMAGE: Unter welchen Beschwerden leidet der Betroffene?
RANFT: Allen Demenzformen ist gemeinsam, dass die Betroffenen ihre kognitiven (geistigen) Fähigkeiten verlieren. Das betrifft das Denken, das Erinnern, die Orientierung, aber auch die Sprache oder das Schreiben und motorische Fähigkeiten. Außerdem können Änderungen im Verhalten auftreten. Betroffene können aggressiv, hemmungslos oder apathisch werden. Sie können falsche Vorstellungen von der Realität entwickeln und beispielsweise Stimmen hören. Sie können eine innere Unruhe entwickeln und durch einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus nachts in oder außerhalb der Wohnung unterwegs sein. Sie können die Nacht als Tag begreifen. Für die Betroffenen ist dies mit großen Ängsten und Sorgen verbunden. Für die Angehörigen ist diese Entwicklung eine große Herausforderung.
IMAGE: Wie wird eine Demenzerkrankung diagnostiziert?
RANFT: Es findet zunächst ein ausführliches Gespräch mit dem Betroffenen und auch den Angehörigen statt. Hier geht es um Fragen, welche Einschränkungen der Betroffene oder seine Angehörigen seit wann und in welcher Form beobachtet haben. In der Frühphase kann der Betroffene seine Defizite noch sehr gut verbergen und auf beherrschte Handlungsabläufe zurückgreifen, eine gute Fassade aufbauen. Eine zunehmende Vergesslichkeit ist aber nur bis zu einem gewissen Grad mit dem Alter zu erklären. Neben den Diagnose-Gesprächen gibt es neuropsychologische (kognitive) Testverfahren. Bildgebende Verfahren und Labordiagnostik können weiteren Aufschluss über die Erkrankung geben. Die Untersuchungen sollen einerseits potentiell heilbare Demenzursachen anzeigen, beispielsweise Stoffwechselstörungen oder Entzündungen im Gehirn. Andererseits können die Bilder aus einem MRT oder CT dazu beitragen, zwischen verschiedenen primären Demenzformen zu unterscheiden. Eine körperliche Untersuchung dient dem weiteren Ausschluss anderer Ursachen. Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, um die Erkrankung möglichst gut begleiten zu können. ZIEMKE: Aktuell liegt noch kein Verfahren vor, welches eine Demenzerkrankung in einem noch völlig beschwerdefreien Stadium zuverlässig erkennen ließe. Eine Ausnahme gibt es nur bei bei bestimmten erblichen Formen der Alzheimer-Demenz. Deshalb sollten Betroffene und Angehörige bei einem Verdacht einen Arzt aufsuchen.
IMAGE: Wie wird eine Demenz behandelt?
ZIEMKE: Das hängt von der Demenzform ab. Grundsätzlich ist zu sagen: Eine Heilung ist momentan nicht möglich, aber das Voranschreiten der Erkrankung kann verlangsamt werden. Zu berücksichtigen ist die Persönlichkeit und die Lebenssituation des Erkrankten. Im EvK Witten arbeiten wir nach einem ganzheitlichen interdisziplinären Ansatz. Eine mögliche Medikamentengabe, die die Lebensqualitätät verbessern kann, wird mit anderen nicht-medikamentösen Behandlungsformen kombiniert. Dazu zählen kognitive Verfahren, Bewegung, Krankengymnastik, aber auch künstlerische oder sensorische Verfahren. Wichtig ist die Schulung der Angehörigen, wenn der Betroffene zuhause versorgt wird. Regelmäßige Weiterbildungen sorgen dafür, dass unsere Mitarbeiter gut aufgestellt sind und den Betroffenen sowie den Angehörigen wertvolle Hinweise für das Leben mit einer Demenz im Alltag mit auf den Weg geben können. Insbesondere in einem frühen Stadium der Erkrankung gibt es strukturelle Hilfen, die den Alltag erleichtern. Auch eine stundenweise Versorgung durch eine Tagespflege oder der Einbezug eines ambulanten Pflegedienstes kann einerseits die Angehörigen entlasten, andererseits dem Betroffenen die notwendige Unterstützung gewähren.
IMAGE: Kann man einer Demenzerkrankung vorbeugen?
RANFT: Man kann nur mögliche Risikofaktoren verringern. Der Verzicht auf Rauchen, ein geringer Konsum von Alkohol, der Abbau von Übergewicht und eine mediterrane Ernährung mit viel Obst und Gemüse ist zu empfehlen. Außerdem sollte der Blutdruck kontrolliert und das Augenmerk auf Stoffwechselerkrankungen gelegt werden. Sich körperlich und geistig fit zu halten und möglichst lange und viel in den Alltag eingebunden zu werden und Aufgaben zu erledigen scheint das Fortschreiten zu verlangsamen. Auch hier gilt „wer rastet, der rostet“.
IMAGE: Wenn eine Familie mit der Demenz eines Angehörigen leben muss - worauf kommt es an?
ZIEMKE: Dem Alltag Struktur geben, den Betroffenen einbinden. Viel trinken. Sich Hilfe holen. Alle Beteiligten müssen lernen, mit der Erkrankung umzugehen. Wichtig ist es, dem Erkrankten möglichst lange seine Kompetenzen zu belassen. Sonst schreitet die Erkrankung schneller voran. RANFT: Angehörige müssen sich auf ihr demenzkrankes Familienmitglied einstellen – denn umgekehrt geht es nicht mehr. Sinnlos ist es beispielsweise, einen demenzkranken Menschen darauf hinzuweisen, dass Sie ihm eine Frage vor fünf Minuten schon einmal beantwortet haben. Demenzkranke leben auch mal in vergangenen Zeiten und Situationen und es erscheint dem Umfeld so, als ob Vergangenheit und Gegenwart durcheinander gehen. Angehörige brauchen Kraft und Hilfe, um sich der Herausforderung dieser Betreuung zu stellen. anja