IMAGE im Gespräch mit Sonja Noster über die Stomatherapie und ein großes Tabuthema für Betroffene.
Sonja Noster ist Stomatherapeutin am Ev. Krankenhaus Witten und berät Betroffene und Angehörige zu einem schwierigen Thema. Foto: EvK
Das Wort Stoma bedeutet im griechischen „Öffnung“ und ist der medizinische Fachbegriff für eine künstlich angelegte Körperöffnung. Über eine Öffnung in der Bauchdecke ist nah am Körper ein Beutel angebracht. In ihm werden Stuhl oder Urin bei schwerwiegenden Erkrankungen von Darm oder Blase aufgefangen. Stomabeutel, Einmalkatheter und Urinale gehören zur Berufsausstattung der Stomatherapeutin Sonja Noster im Evangelischen Krankenhaus Witten. Als Pflegeexpertin für Stoma, Kontinenz und Wunde versorgt und berät sie Patienten mit einem künstlichen Darm- oder Blasenausgang, damit diese einen möglichst selbstbestimmten Alltag führen können.
IMAGE: Warum ist das Anlegen von einem Stoma notwendig?
NOSTER: Damit Erkrankungen des Darms oder der Harnwege besser heilen können, ist in manchen Fällen ein künstlicher Ausgang für Stuhl oder Urin notwendig. Dieses sogenannte Stoma kann, je nach Erkrankung, sowohl temporär als auch dauerhaft angelegt werden. Das Stoma ist an die Bauchhaut angenäht und tritt aus der Bauchdecke heraus. Über einen speziellen, luftdurchlässigen Beutel wird der Darminhalt durch einen Filter geruchlos aufgefangen.
Grundsätzlich können Menschen jeden Alters, auch Kinder, betroffen sein. In der Regel sind die meisten Stoma-Operationen allerdings die Folge von Darmkrebs und werden ab dem 50. Lebensjahr durchgeführt. In Deutschland leben über 150.000 Stomaträger. An Darmkrebs erkranken jährlich rund 60.000 Menschen.
IMAGE: Was gehört als Stoma-Pflegeexpertin zu Ihren Aufgaben?
NOSTER: Ich versorge alte und neue Stomaanlagen, reinige die um das Stoma liegende Haut, wechsele die Stomabeutel und höre den Betroffenen zu. Sehr wichtig ist die Beratung von Patienten und Angehörigen. Ein solcher Eingriff bedeutet einen großen Einschnitt in ihr Leben und bringt viele Fragen mit sich. Oft geht es dabei um die richtige Ernährung, um mögliche Einschränkungen und Komplikationen. Außerdem ist das Thema immer noch mit vielen Tabus und großer Scham verbunden. Ich leite die Patienten im Krankenhaus an, den Beutel selbst zu wechseln und ihre Haut zu pflegen. Es gibt auch unterschiedliche Beutelsysteme für Dick-, Dünndarm und Blasenausgang. Sitzen alle notwendigen Handgriffe, behalten die Betroffenen weitestgehend ihre Selbstständigkeit und sind nicht immer auf die Hilfe anderer angewiesen. Außerdem berate ich bezüglich aller zusätzlichen Hilfsmittel wie Bandagen oder auch bei auftretenden Versorgungsproblemen durch Veränderungen im Laufe der Zeit oder bei auftretenden Komplikationen.
Stomaanlagen können sich durch Gewichtsschwankungen verändern. Deshalb ist eine regelmäßige Kontrolle ratsam. Sonst können Entzündungen oder Hautstörungen entstehen. Die Weiterversorgung durch einen Facharzt ist von großer Bedeutung und auch die Angehörigen brauchen eine Anleitung zur Versorgung eines Stomas. Es muss ein gut funktionierendes Miteinander aller Beteiligten sein. Vor allem muss man auch erkennen können, wenn es Komplikationen gibt.
IMAGE: Dann sind Sie vermutlich im Krankenhaus Teil eines interdisziplinären Teams?
NOSTER: Ganz genau. Es gibt viele verschiedene Bereiche, die man berücksichtigen muss. Es ist auch sehr unterschiedlich, wie die Betroffenen damit zurechtkommen. Manche benötigen psychosoziale Unterstützung, andere nicht. Wichtig ist für die Betroffenen immer, die Stomaanlage als Teil ihres Lebens zu akzeptieren. Das Ziel meiner Arbeit ist es, Betroffenen und Angehörigen einen möglichst selbstbestimmten Alltag zu ermöglichen. Ich kümmere mich im Krankenhaus auch um die Themen Kontinenz und Wunden. Befindet sich in der Blase beispielsweise noch Restharn oder liegt ein schwacher Beckenboden vor, lindern geeignete Hilfsmittel die Beschwerden. In einem persönlichen Gespräch und in Absprache mit den behandelnden Ärzten ermitteln wir den Bedarf und suchen gemeinsam nach einer idealen Lösung. Manchen helfen Einmal-Katheter, andere nutzen Windelpants und einige Männer kommen mit einem Kondom-Urinal gut zurecht. Auch hier sind individuelle Lösungen wichtig.
IMAGE: Worauf müssen sich Betroffene mit künstlichem Darmausgang im Alltag einstellen?
NOSTER: Ein Stoma bedeutet für Patienten den Verlust einer wichtigen Körperfunktion. Bei einem künstlichen Darmausgang erfolgt die Verdauung deutlich schneller und ist nicht kontrollierbar. Betroffene fühlen sich im Alltag daher oft eingeschränkt. Mit ein paar Verhaltensmaßnahmen können sie aber eine gute Lebensqualität haben. Beim Sport beispielsweise sollten sie auf Sportarten mit Bauchmuskeltraining verzichten. Betroffene dürfen auch nicht mehr als zehn Kilogramm heben. In der Stomatherapie besprechen wir mit dem Patienten genau, welche Sportarten für ihn geeignet sind.
Stomaträger müssen auch auf ihre Ernährung achten. Grundsätzlich dürfen sie zwar alles essen, aber manche Lebensmittel können Verdauungsbeschwerden hervorrufen. Stopfende oder blähende Nahrungsmittel sollten deshalb gemieden werden. Zudem kann es zu unangenehm empfundenen Darmgeräuschen kommen, die nicht selten als beschämend empfunden werden. Ungewöhnlich ist diese Situation auch für Angehörige, die gerne helfen wollen, in manchen Fällen aber an ihre Grenzen stoßen.
Recht unproblematisch ist das Reisen, wenn Stomapatienten alles Notwendige eingepackt haben. Darauf gilt es zu achten, insbesondere wenn Reisen ins Ausland führen. Wichtig ist sicherzustellen, dass im Notfall eine Versorgung vor Ort möglich ist und man selbst alles, was man braucht, für den Reisezeitraum im Gepäck hat. Auch das Tabuthema der Intimität muss besprochen werden. Es kann vorkommen, dass Stomapatienten unter Sexualstörungen leiden. Hier helfen Gespräche mit dem Partner und dem Stomatherapeuten. Nach dem Krankenhausaufenthalt gibt es Sanitätshäuser, die auf Stoma-Patienten spezialisiert sind. Dort arbeiten auch ambulante Stomaexperten, die mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wichtig ist, bei Schwierigkeiten und Beschwerden auch darüber zu reden und nicht aus Scham zu schweigen. Hat der Betroffene einen Pflegegrad, so erhält er Hilfe durch einen ambulanten Pflegedienst.
Was auch wichtig ist: Ein Stoma ist für Außenstehende nicht sichtbar. Häufig haben Stomaträger Angst, Fremde könnten ihr Stoma wahrnehmen. Das ist nicht so. Dies gilt für die Optik genauso wie für den Geruch. Denn die Stomabeutel sind Spezialbeutel, die den Darminhalt geruchlos auffangen.
IMAGE: Gibt es auch Hilfe von Betroffenen selbst?
NOSTER: Ja, die gibt es. 1972 hat sich in Deutschland die ILCO e.V. gegründet. Sie ist die größte deutsche Solidargemeinschaft von Stomaträgern, Menschen mit Darmkrebs und deren Angehörigen. Der Name ILCO leitet sich von den Anfangsbuchstaben der medizinischen Bezeichnungen Ileum (= Dünndarm) und Colon (= Dickdarm) ab. Selbsthilfe und Ehrenamt sowie inhaltliche und finanzielle Unabhängigkeit sind die wesentlichen Arbeitsprinzipien der Deutschen ILCO. Es gibt neben einer Homepage zahlreiche Gruppentreffen und Termine, die den Betroffenen helfen können. anja