IMAGE sprach zum Jahreswechsel mit Hattingens Stadtspitze über Wünsche und Sorgen.
Dirk Glaser
IMAGE: Hattingen steht vor großen Herausforderungen - nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Krisen: Corona, Krieg und Flüchtlinge, Energie. Kann der Hattinger Bürgermeister nachts überhaupt noch schlafen?
GLASER: Nach meinem Verständnis hat der Bürgermeister einen 24-Stunden-Beruf. Für mich bedeutet das auch, dass ich nicht wirklich abschalten kann. Die Herausforderungen haben in den Jahren meiner Amtszeit deutlich zugenommen - also, nein, ich schlafe nicht so gut wie zu meinem Amtsantritt. Aber so richtig entspannt war das ja auch 2015 nicht - die Flüchtlingskrise gab es damals auch, wenn auch aus anderen Gründen. Mit der Corona-Pandemie, der Flutkatastrophe, der Energiekrise und natürlich dem Ukrainekrieg sind die Herausforderungen deutlich gewachsen. Aber die Pandemie hat auch gezeigt, dass wir Verantwortung übernehmen müssen - für uns selbst und für andere Menschen. Ich finde, das haben wir ganz gut gemeistert und das gibt mir Hoffnung für die anderen Krisen. Ich erlebe immer wieder kleine Sternstunden der Hoffnung - beispielsweise beim Zusammenkommen zum interreligiösen Gebet. Alle in Hattingen vertretenen Religionen treffen sich und singen gemeinsam „We shall overcome“ - „Wir werden es überwinden“. Das packt mich an und ich denke in solchen Momenten: Es ist vieles möglich.
IMAGE: Eine Stadt lebt vom Engagement der Bürger und nicht nur von Forderungen an die Verwaltung. Wie zufrieden ist der Bürgermeister mit dem bürgerschaftlichen Engagement?
GLASER: Ich bin sehr zufrieden. Und vor allem dankbar. Beim Thema Flüchtlinge leistet die Verwaltung gemeinsam mit den Ehrenamtlichen hier in Hattingen sehr gute Arbeit. Ohne das Engagement der Bürgerschaft in Sport, in Kultur, im Sozialen, in Bildung, in der Umwelt, kann eine Bürgergemeinschaft dauerhaft nicht überleben. Egal, was der einzelne macht und wo er sich engagiert - jeder ist ein Teil der Bürgergesellschaft. Eine lebendige Demokratie braucht ein solches ehrenamtliches Engagement. Dazu gehören übrigens auch die gewählten Bürger im politischen Ehrenamt.
IMAGE: Bei vielen Bauprojekten in Hattingen steht eines ganz weit oben: keine Flächenversiegelung, kein Abholzen von Bäumen. Wo steht der Bürgermeister in der Stadtentwicklung?
GLASER: Bei jedem Bauprojekt muss abgewogen werden und die Frage zur Klimafreundlichkeit beantwortet werden. Die Klimakrise ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Aber eine Stadt muss sich entwickeln, um überleben zu können. Wir brauchen eine neue Feuerwache Nord, in der die drei Wachen aus Blankenstein, Holthausen und Welper eine gemeinsame Heimat finden. Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum am Friedhofsweg, auch wenn dafür ein Silberahorn weichen muss. Stadtentwicklung ist immer eine Abwägung zwischen versiegelten und entsiegelten Flächen. Letzteres werden wir auf dem früheren O&K-Gelände erleben. Die Entscheidungen sind nicht einfach zu treffen - aber es gehört zu den Spielregeln der Demokratie, getroffene Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren.
IMAGE: Was war für Sie persönlich das positivste und negativste Ereignis aus dem Jahr 2022?
GLASER: Das schrecklichste und negativste Ereignis in 2022 war der Kriegsbeginn in der Ukraine am 24. Februar. Außerdem habe ich mir zwei Tage später im Badezimmer bei einem Sturz das Becken gebrochen. Das schönste Ereignis waren für mich persönlich die ersten Schritte, die ich ohne Krücken nach drei Monaten wieder gehen konnte. Ein unbeschreibliches Gefühl. Zu den schönsten Momenten in 2022 gehörten für mich auch die Feste, die wir nach der Corona-Pandemie in Hattingen wieder feiern durften. Wir haben ein tolles Altstadtfest erleben dürfen und der Weihnachtsmarkt mit Frau Holle gehörte auch zu den Veranstaltungshighlights. Ich habe mich darüber gefreut, dass wir auf dem Gelände des LWL-Industriemuseums auch wieder mit Festen unterwegs sein konnten. Der Mensch ist ein soziales Wesen und das durfte er in diesem Jahr wieder ausleben. Das habe ich vermisst und das hat mir viel Freude bereitet.
IMAGE: Zukunft 2023 - was bringt das neue Jahr?
GLASER: Hoffentlich das Ende des Krieges in der Ukraine und das endgültige Ende der Corona-Pandemie. Ich glaube, dass wir die Herausforderungen schaffen werden - als Stadtoberhaupt bin ich berufsbedingt positiv und optimistisch. Die Stadtverwaltung kann nicht immer alle Aufgaben so umsetzen, wie es wünschenswert wäre. Ich weiß das. Manches hängt mit finanziellen und personellen Herausforderungen zusammen, die oft durch neue Gesetzgebung von Land und Bund beeinflusst werden. Wir befinden uns in einer extrem schwierigen finanziellen Situation. Ich werde nicht nachlassen, beim Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ mit Tatkraft eine bessere Ausstattung der Kommunen zu fordern. Ich wünsche mir für 2023 aber auch etwas mehr Gelassenheit im Miteinander, Toleranz und Respekt. Die Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nicht durch Auseinandersetzungen auf persönlicher Ebene lösen - weder face to face noch digital. Es geht nur gemeinsam und dazu gehören auch Kompromisse im Sinne eines bestmöglichen Ergebnisses. anja