Oberarzt Jurij Sokolov, Leiter der Schmerzambulanz EvK Witten, will das mit seinem Team erreichen.
Jurij Sokolov, Oberarzt und Facharzt für Anästhesiologie und Spezielle Schmerztherapie, leitet die Schmerzambulanz am EvK Witten.
2022 hat das Ev. Krankenhaus in Witten seine Schmerztherapie ausgebaut. Neben der stationären Behandlung konnten Patienten mit chronischen Schmerzen im EvK ab diesem Zeitpunkt auch ambulant Hilfe in Anspruch nehmen: in der Schmerzambulanz unter Leitung von Jurij Sokolov. Hier werden Patienten nach dem bio-psycho-sozialen Modell in ihrer Gesamtheit in den Blick genommen, um herauszufinden, was ihren Schmerz antreibt. Denn oftmals verbergen sich hinter dem schmerzenden Knie oder den chronischen Rückenschmerzen tatsächlich ganz andere Probleme. Jurij Sokolov hatte zuletzt die Schmerzambulanz im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke geleitet.
IMAGE: Mit welchen Beschwerden kommen die Menschen zu Ihnen?
SOKOLOV: Das ist sehr unterschiedlich. Bei uns werden Menschen mit akuten und chronischen Schmerzen behandelt. Rückenschmerzen, Schmerzen infolge von Gelenks- oder Nervenerkrankungen, verschiedene Arten von Kopfschmerzen sowie das Fibromyalgiesyndrom gehören zu den häufigsten Beschwerden, die wir behandeln. Fibromyalgie ist eine chronische Schmerzerkrankung, die sich durch Schmerzen in verschiedenen Körperregionen äußert. Die Schmerzen können auf der Haut, in den Muskeln und Gelenken spürbar sein. Andere typische Beschwerden sind Schlafstörungen, Müdigkeit, schnelle körperliche wie geistige Erschöpfung und Konzentrationsprobleme. Vor der Behandlung in der Schmerzambulanz bekommen Patienten ein Fragebogen-Buch mit Fragen zur Anamnese und bisherigen Therapiemaßnahmen sowie ein Schmerztagebuch zugeschickt, das sie zu ihrem ersten Termin ausgefüllt mitbringen sollten. Je genauer sie die Schmerzen beschreiben, desto einfacher ist es für den Arzt und Therapeuten, die mögliche Ursache der Schmerzen zu finden und eine erfolgreiche Behandlung einzuleiten. Fragebögen helfen manchmal auch dem Gedächtnis auf die Sprünge und fragen nach Schmerzinformationen, die der Patient sonst möglicherweise im Gespräch mit seinem Arzt vergessen hätte. Sie helfen zudem dem Arzt, das Erstgespräch zu gliedern. Für eine Behandlung in unserer Schmerzambulanz ist eine Überweisung durch den Hausarzt erforderlich.
IMAGE: Ihre Patienten haben die Beschwerden schon länger und bereits einige Möglichkeiten zur Linderung ausprobiert?
SOKOLOV: Ja, das ist in der Regel so. Auch wenn die Beschwerden sehr
unterschiedlich sind, gemein ist allen hingegen eine lange Leidenszeit sowie diverse erfolglose Behandlungen.
Viele chronisch Schmerzkranke haben den Satz „Den Schmerz müssen Sie wohl so akzeptieren...“ schon oft gehört und verbinden damit nichts Gutes. Das ganze Leben dreht sich nur noch um den Schmerz, der Kampf dagegen wird immer mehr zu einem Teil des Alltags. Unser Ziel ist es, diesen von chronischen Schmerzen geplagten Menschen ein Stück Lebensqualität zurückzugeben. Wenn Patienten durch die Schmerztherapie wieder in den Beruf zurückkehren können oder wieder ein paar Stunden Gartenarbeit erledigen können, dann ist das für mich die größte Belohnung und eine wunderbare Seite an meinem Beruf. Doch bis dahin ist es oft ein langer Weg. Und der beginnt mit einem ausführlichen Gespräch. Das ist unser wichtigstes Werkzeug und wesentlich nachhaltiger als eine Spritze oder Tablette.
IMAGE: Welche Behandlungsmöglichkeiten haben Sie?
SOKOLOV: Wir haben viele Möglichkeiten. So gibt es beispielsweise eine differenzierte Medikamentenbehandlung oder ein schmerztherapeutisch begleitetes Ausschleichen von Schmerzmitteln. Es gibt Therapien mit Fokus auf die Psyche, es gibt Physiotherapie, eine Infusionsbehandlung, die Behandlung von therapeutischen Blockaden mit Medikamenten, nichtmedikamentöse Verfahren zur Schmerzbewältigung sowie die TENS-Therapie. TENS steht für Transkutane Elektrische Nerven-Stimulation. Dabei handelt es sich um eine schonende Variante der Elektrotherapie. Sie wird auch als Reizstromtherapie be- zeichnet. Die TENS kann entweder vom Physiotherapeuten oder vom Patienten selbst zur Schmerz-, Muskel- und Wundbehandlung genutzt
werden. Bei Patienten mit chronischem Schmerz wird zusätzlich zu medizinischen Maßnahmen häufig die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) angewendet. Dieses Verfahren geht davon aus, dass die Art und Weise, wie wir mit unseren Gedanken, Gefühlen und unserem Verhalten auf Stress im Alltag reagieren, körperliche Schmerzen aufrechterhält oder sogar verstärkt. Auch der Schmerz selbst kann ein hoher Stressfaktor sein. Schmerzzustände, die durch psychischen Stress allein verursacht werden, sind eher selten. In dieser Situation ist es sinnvoll zu fragen, gegen wen der Kampf letztendlich gerichtet ist. Es gibt ja keinen äußeren Feind, der uns die Schmerzen bereitet. Letztlich kämpfen wir gegen uns selbst. Die Schmerzforschung zeigt sehr deutlich, dass sich unser Schmerzerleben positiv verändern lässt, wenn wir uns trauen, auf den Schmerz zuzugehen und ihn genau zu beobachten – statt davonzulaufen oder in ihm unterzugehen. Dies ist mit Akzeptanz gemeint: Lernen, das eigene Erleben, den Schmerz oder die Angst, genau zu beobachten und ihn aktiv zu betrachten. Akzeptanz in diesem Sinne ist deshalb etwas ganz anderes, als die Waffen zu strecken. Es geht darum, zu lernen, sich und das eigene Erleben anzunehmen. Nicht selten haben wir Einflussmöglichkeiten, wie man mit seinen Schmerzen und sich selbst umgehen kann. Auch hier versuchen wir, dem Betroffenen Bausteine an die Hand zu geben, mit deren Hilfe er seinen Alltag besser bewältigen kann. Seit einiger Zeit wird von Kostenträgern auch eine sogennante DiGa-App übernommen. Dabei kann der Patient unter digitaler Anleitung schmerztherapeutische Anwendungen erlernen. Speziell für Kopfschmerzpatienten gibt es digitale Kopfschmerzkalendar mit Warnfuktionen und eine Möglichkeit Zwischenbilanz an Therapeuten zu senden. Bei Nervenschmerzen wie z.b nach Gürtelrose wenden wir ein spezielles Chillypflaster mit sehr guten Ergebnissen an.
Die Sprechzeiten der Schmerzambulanz im 1. OG des EvK Witten sind montags, dienstags sowie donnerstags von 8 bis 16 Uhr. Eine Terminvereinbarung ist telefonisch unter 02302.175-5000 erforderlich.
IMAGE: Und wenn die ambulante Schmerztherapie nicht hilft?
SOKOLOV: Manchmal hilft eine ambulante Behandlung tatsächlich nicht weiter. Deshalb bieten wir im EvK Witten weiterführende Therapien an: Die stationäre Kurzzeit-Akutschmerztherapie richtet sich an Patienten, die ambulant nicht ausreichend eingestellt werden können. Mit der Multimodalen Schmerztherapie bieten wir gemeinsam mit niedergelassenen Kooperationspartnern ein in Witten einmaliges interdisziplinäres Behandlungskonzept für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen an. Die Kurzzeit-Schmerztherapie im Ev. Krankenhaus Witten richtet sich an Patienten mit akuten Schmerzen, die ambulant nicht ausreichend eingestellt werden können. Die Behandlung dauert drei bis vier Tage. Die Therapie erfolgt mit wirbelsäulennahen Injektionstechniken. Die Chef- und Oberärzte der Kliniken für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin sind darin durch die Interdisziplinäre Gesellschaft für orthopädische/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie (IGOST) besonders geschult. Für die Kurzzeit-Schmerztherapie ist eine Einweisung durch einen niedergelassenen Arzt erforderlich. anja