Klein, aber oho: Ein hormoneller Schrittmacher ist für unseren Körper lebensnotwendig.
Dr. Matthias Blase
Die Schilddrüse ist klein, schmetterlingsförmig und liegt an der Vorderseite des Halses. Ein gesundes Organ ist etwa daumengroß und wiegt zwischen 18 Gramm (Frauen) und 25 Gramm (Männer). Sie bildet verschiedene Hormone und hat eine wichtige Steuerungsfunktion im menschlichen Körper. IMAGE sprach mit Chefarzt Matthias Blase über das Organ und die möglichen Folgen bei einer Erkrankung.
IMAGE: Welche Aufgabe hat die Schilddrüse für den Körper?
BLASE: Sie bildet Hormone. Dabei ist Jod der notwendige Grundstoff. Unter dem Begriff Schilddrüsenhormone werden in der Regel vor allem die zwei wichtigsten jodhaltigen Hormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) zusammengefasst. Sie beeinflussen den Stoffwechsel des Körpers. Die Schilddrüsenhormone wirken auf Herz und Kreislauf, sie erweitern die Blutgefäße, beschleunigen den Herzschlag und regeln den Blutdruck. Verantwortlich sind sie aber auch für die Aktivität vom Fett- und Bindegewebsstoffwechsel, für die Schweiß- und Talgdrüsen der Haut und die Tätigkeit von Nieren und Darm. Außerdem sind sie beteiligt an vielen Wachstumsprozessen und steigern den Grundumsatz und den Energieverbrauch des gesamten Organismus. Mitverantwortlich sind sie auch für das Wachstum von Ungeborenen im Mutterleib und von Kindern. Vereinfacht kann man sagen, sie wirken wie ein Gaspedal. Geben sie zu viel Gas, dann sprechen wir von einer Hyperthyreose, geben sie zu wenig Gas, dann haben wir es mit einer Hypothyreose zu tun.
IMAGE: Und das hat in beiden Fällen Auswirkungen?
BLASE: Aber ja. Eine gesunde Schilddrüse produziert pro Tag etwa 80 bis 100 Mikrogramm T4 und 10 bis 50 Mikrogramm T3. Wann und in welcher Menge die Schilddrüse die eingespeicherten Hormone dem Körper zur Verfügung stellt, wird vom Gehirn gesteuert. Bei einer Unterfunktion der Schilddrüse kommt es zu typischen Symptomen von extremer Müdigkeit, Depression, Konzentrationsstörungen, Gewichtszunahme trotz Appetitlosigkeit, Kälteempfindlichkeit sowie einer erhöhten Infektanfälligkeit. In schweren Fällen ist sogar ein Koma nicht ausgeschlossen. Bei einer Überfunktion der Schilddrüse ist das Energielevel zu hoch. Es kommt zu Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, innerer Unruhe und Stimmungsschwankungen, Schwitzen, aber auch zu Gewichtsverlust und Durchfall. Bei Frauen treten Zyklusstörungen auf. Es müssen nicht immer alle Symptome gleichzeitig oder gleichschwer auftreten. Manchmal steht ein Symptom im Vordergrund und ist wegweisend. Im schwersten Fall kann es auch hier zu einem Koma kommen aufgrund einer Schilddrüsenhormonvergiftung.
IMAGE: Gibt es neben Über- und Unterfunktion noch weitere Erkrankungen der Schilddrüse?
BLASE: Ja, die gibt es. Schilddrüsenerkrankungen sind häufig und können in jedem Lebensalter auftreten. Bei etwa jedem dritten Erwachsenen in Deutschland bildet sich im Laufe des Lebens mindestens eine krankhafte Schilddrüsenveränderung. Dabei steigt die Häufigkeit mit zunehmendem Alter. Wir unterscheiden bei den Erkrankungen zwischen den hormonellen Fehlfunktionen, also der Über- oder Unterfunktion, und Veränderungen in Größe und Beschaffenheit. Dazu gehören Vergrößerungen, Entzündungen, Knoten und Tumore.
IMAGE: Wie kann man eine Erkrankung der Schilddrüse erkennen?
BLASE: Neben dem Abtasten der Halsregion stehen uns verschiedene diagnostische Verfahren zur Verfügung. Eine Über- oder Unterfunktion kann durch eine Blutuntersuchung festgestellt werden. Das wichtigste bildgebende Diagnoseverfahren ist die Schilddrüsen-Sonografie. Die Halsregion wird mit einem Schallkopf von außen untersucht. Das Ultraschallbild lässt Rückschlüsse auf Größe, Lage, Form und Gewebebeschaffenheit der Schilddrüse zu. Bei Schilddrüsenerkrankungen kommt am häufigsten die Technetium-Szintigrafie zum Einsatz. Technetium verhält sich im Körper wie Jod, hat aber günstigere physikalische Eigenschaften. Wir können die Jodaufnahme der Schilddrüse beurteilen und dann daraus Rückschlüsse auf verschiedene Erkrankungen ziehen.
IMAGE: Zu den Therapiemöglichkeiten. Was kann man bei einer Schilddrüsenerkrankung tun?
BLASE: Die Behandlung einer Schilddrüsenerkrankung richtet sich nach Ursache und Ausmaß. So können wir beispielsweise eine medikamentöse Therapie durchführen, etwa bei einer Schilddrüsenüberfunktion.
Eine weitere Möglichkeit ist die Radiojodtherapie, die etwa bei überaktivem Schilddrüsengewebe zum Einsatz kommen kann. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sie auch bei Schilddrüsenkrebs genutzt werden. Die Effektivität ist allerdings eingeschränkt, weil nur aktive Schilddrüsenzellen verkleinert werden. Schließlich haben wir die operative Methode, die bei krankhaften Gewebeveränderungen oft das Mittel der Wahl ist. Hier muss man schauen, ob es sich um gut- oder bösartige Veränderungen handelt. Die Operation wird stationär durchgeführt und der Aufenthalt liegt in der Regel bei wenigen Tagen. Die Art der medikamentösen Nachbehandlung richtet sich nach der Grunderkrankung sowie der Größe und Qualität eventuell belassener Schilddrüsenreste. Je mehr Schilddrüsengewebe entfernt wurde, desto ausgeprägter ist der Abfall des Hormonspiegels. Wurde bei der OP die gesamte Schilddrüse entfernt, ist ein lebenslanger medikamentöser Hormonersatz mit Schilddrüsenhormonen erforderlich. Manchmal kommen auch neuere Verfahren zur lokalen, nicht-operativen Zerstörung von Schilddrüsenknoten in der Behandlung zum Einsatz.
IMAGE: Gibt es eine Möglichkeit der Vorbeugung?
BLASE: Bedingt. Eine gesunde und jodhaltige Ernährung ist wichtig. Um genügend Schilddrüsenhormone bilden zu können, liegt der tägliche Jodbedarf für Erwachsene bei etwa 150 bis 200 Mikrogramm. Der menschliche Körper kann es nicht selbst produzieren. Wir müssen es mit der Nahrung aufnehmen. Wichtigste Jodlieferanten sind Fisch, aber auch Milch, Brot und Eier oder die Verwendung von jodiertem Speisesalz. Allerdings sollte ohne medizinische Rücksprache keine unkontrollierte Einnahme von Jodtabletten erfolgen - auch nicht zur Vorbeugung. Ein dauerhafter Jodüberschuss kann ebenfalls schwerwiegende Folgen haben und zu einer Unterfunktion der Schilddrüse oder einem Kropf führen.
Wer sich vegan ernährt, muss auch seinen Selen-Haushalt im Blick halten. Selen kommt hauptsächlich in tierischen Produkten vor. Viel Selen enthalten außerdem z.B. Nüsse, insbesondere Paranüsse, verschiedene Kohlsorten, Zwiebelgemüse, Pilze und Linsen.
Der Verzicht auf Rauchen ist ebenfalls wichtig, denn der Rauch enthält Zyanid, welches die Jodaufnahme blockiert. Manche Erkrankungen der Schilddrüse entstehen aber auch vor dem Hintergrund genetischer Veranlagung. Eine Vorbeugung ist hier nicht möglich. Grundsätzlich gilt es, auf Veränderungen des Körpers im Hinblick auf die hier benannten Symptome zu achten und ärztlichen Rat einzuholen. anja