IMAGE im Gespräch mit Chefarzt Dr.med. Christoph Hackmann vom Evangelischen Krankenhaus.
Dr. med. Christoph Hackmann, Chefarzt der Klinik für Hämatologie und Onkologie am EvK Witten. Foto: EvK
Die Klinik für Hämatologie und Onkologie, seit 2011 als eigenständige Fachklinik am Ev. Krankenhaus Witten, ist integrativer Bestandteil der onkologischen Versorgung und behandelt die Patienten innerhalb eines interdisziplinären, sektorübergreifenden Netzwerkes. Zum Netzwerk gehört die Gemeinschaftspraxis Innere Medizin, die Kliniken für Strahlentherapie und Urologie sowie das Viszeralchirurgische Zentrum. Sie verfügt über 30 Betten und bietet fünf Palliativplätze. Dr. med. Christoph Hackmann führt die Klinik als Chefarzt gemeinsam mit Chefärztin Dr. med. Jacqueline Rauh.
IMAGE: Welche Tumorpatienten kommen zu Ihnen?
HACKMANN: Zu uns kommen Patienten sämtlicher Krebserkrankungen mit einem Schwerpunkt auf Tumorerkrankungen der Lunge. Fachleute unterscheiden zwischen nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (abgekürzt: NSCLC) und kleinzelligem Lungenkrebs (abgekürzt SCLC). Die Erkrankung an einem Bronchialkarzinom – das ist der Fachbegriff – ist sehr schwerwiegend. Darunter versteht man Krebs der Trachea (Luftröhre), des Bronchus (Atemweg) oder der Lungenbläschen (Alveoli). Lungenkrebs war zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine seltene Erkrankung, aber die zunehmende Belastung durch Tabakrauch und anderen Schadstoffen haben zu einer deutlichen Zunahme im 20. und 21. Jahrhundert geführt. Jährlich erkranken in Deutschland rund 56.000 Menschen an Lungenkrebs.
Besonderen Wert legen wir im Krankenhaus bei Diagnostik und Therapie auf einen ganzheitlichen Ansatz. Im Netzwerk Tumortherapie können wir diesen Anspruch erfüllen. So gibt es beispielsweise für die Behandlung akuter Leukämien eine Zusammenarbeit mit dem Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer, wo auch eine Stammzelltransplantation durchgeführt werden kann. Des Weiteren besteht eine Kooperation mit dem Thoraxzentrum Ruhrgebiet in der Diagnostik und operativen Therapie von Tumorerkrankungen der Lunge.
IMAGE: Kann man die Risiken für Lungenkrebs selbst verringern?
HACKMANN: Ja, das kann man. Die Belastung durch Tabakrauch, entweder durch das Rauchen der Mutter in der Schwangerschaft oder nach der Geburt des Kindes, ist ein bekannter Risikofaktor für Asthma und beeinträchtigte Lungenfunktion während der Kindheit. Zum Tabakrauch gehört übrigens auch der Shisha-Rauch. Für Lungenkrebs ist Tabakrauch ebenfalls ein hohes Risiko. Er ist für mehr als 80 Prozent der Lungenkrebserkrankungen verantwortlich. Lungenkrebs ist heute die Krebsart mit der weltweit höchsten Sterberate bei Männern und Frauen. Die Überlebensrate hängt vom Zelltypus des Krebses und dem Zeitpunkt ab, zu dem die Krankheit diagnostiziert wurde, ist aber insgesamt als eher schlecht einzustufen.
Anhaltende starke Luftverschmutzung und genetische Faktoren sind weitere Risiken. Schwere Lungenschäden können auch durch vorherige schwere Infektionen (u.a. z.B. COVID-19), Vernarbungen oder Bestrahlungen ausgelöst werden. Grundsätzlich gilt bei Lungenkrebs: Je früher er entdeckt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Bislang gibt es in Deutschland noch kein gesetzliches Lungenkrebs-Früherkennungsprogramm. Da sich Lungenkrebs jedoch bei den meisten Betroffenen erst spät mit Symptomen bemerkbar macht, entdecken Ärzte ihn häufig erst im fortgeschrittenen Stadium.
Dann ist die Prognose in der Regel schlecht. Symptome von Lungenkrebs sind beispielsweise Husten, Gewichtsverlust, Luftnot oder Schmerzen in der Brust oder den Knochen. Wenn der Tumor sich über die Lunge hinaus ausgebreitet hat, können Metastasen die Symptome verursachen. Bei nicht wenigen Betroffenen sind diese Beschwerden sogar der erste Hinweis auf die Erkrankung.
IMAGE: Wird Lungenkrebs in der Regel operativ therapiert?
HACKMANN: Die sehr umfangreiche Diagnostik beim Lungenkrebs hat in erster Linie das Ziel, die Patienten zu identifizieren, die man einerseits onkologisch sinnvoll operieren kann, das heißt, die einen Vorteil durch die Operation haben und die zum anderen „funktionell operabel“ sind. Das heißt, dass die Lungenfunktion nach Entfernung der krankhaften Lungenabschnitte noch ausreichend sein muss. Alle Patienten, die nach dieser Logik operiert werden können, sollten auch operiert werden.
Ergänzend kommen andere Methoden wie Chemotherapie, Immuntherapie oder Bestrahlung vor oder nach der Operation zum Einsatz, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Solche Operationen und auch die sehr spezielle Diagnostik werden durch oder in Kooperation mit dem Thorax-Zentrum koordiniert und in der Tumorkonferenz besprochen. Patienten, deren Tumor metastasiert ist, profitieren – ggf. bis auf ganz wenige Ausnahmen – nicht von einer Operation, sodass hier in der Regel eine rein medikamentöse Therapie empfohlen wird. Diese kann aus einer Chemotherapie, einer Immuntherapie oder einer zielgerichteten Therapie bestehen. Bei dieser Patientengruppe mit Metastasen erfolgt eine sehr umfangreiche molekulare Diagnostik durch den Pathologen, der nach genetischen Veränderungen sucht, die ein Ansatzpunkt für eine sogenannte zielgerichtete Therapie sein kann. Patienten mit solchen genetischen Veränderungen haben oft einen deutlich besseren und längeren Verlauf.
IMAGE: Ist die Palliativstation die letzte Versorgung vor dem Tod?
HACKMANN: Nein, nicht unbedingt. Ziel der stationären Palliativtherapie ist eine multiprofessionelle Behandlung in ihren Symptomen, die so gebessert werden, dass eine Rückkehr nach Hause möglich ist, oft mit Unterstützung des Palliativnetzes und ggf. auch des ambulanten Hospizdienstes. Die Palliativstation ist an die onkologische Station angegliedert und kann in fünf Zimmern jeweils einen Patienten betreuen. Wenn gewünscht, kann ein Angehöriger dabei sein. Mittelpunkt der Station ist die Wohnküche. Hier können sich Patienten und Angehörige aufhalten und gemeinsam ihre Mahlzeiten einnehmen. Der Gesprächsraum wird für die Kunsttherapie und für ungestörte persönliche Gespräche genutzt. Aromatherapie, Massagen und vieles mehr sollen die Lebensqualität des Patienten verbessern.
Ein multiprofessionelles Team und qualifizierte ehrenamtliche Mitarbeiter stellen die Betreuung der Patienten und ihrer Angehörigen sicher. Notfallmäßig – zum Beispiel am Wochenende und nachts –können wir Patienten übrigens sofort in die stationäre Palliativversorgung aufnehmen.
IMAGE: Kann sich eine geschädigte Lunge wieder regenerieren?
HACKMANN: Das ist abhängig von der Erkrankung. Rauchen schädigt die Lungenzellen. Wer aber beispielsweise mit dem Rauchen aufhört, dessen Lunge kann sich durchaus regenerieren. Das dauert allerdings und ist wiederum abhängig vom Alter und der Gesamtverfassung des Betroffenen. Mindestens mehrere Monate Zeit braucht es auf jeden Fall. Hilfreich ist außerdem das Training des Lungenvolumens. Dafür gibt es eine Vielzahl bestimmter Atemübungen. Lungensport hat sich als nichtmedikamentöse Therapiemaßnahme in den Behandlungskonzepten von Atemwegs- und Lungenkrankheiten etabliert. Es gibt bundesweit Gruppenangebote für Betroffene. anja