Diabetesberaterin Anne Richter, EvK Witten, hilft beim Umgang mit der Stoffwechselerkrankung.
Diabetesberaterin Anne Richter, EvK Witten. Foto: EvK/Gorny
Die Zahl der Patienten mit Zuckerkrankheit steigt. Fast acht Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Diabetes. Oft kommen gerade ältere Menschen aufgrund einer anderen Erkrankung in die Klinik - die meisten von ihnen wissen um ihren Diabetes, aber nicht alle. Deshalb wird am EvK Witten bei der Aufnahme der Blutzucker überprüft. Bei bekanntem, gut eingestelltem Diabetes wird die bisherige Therapie fortgesetzt. Wird ein bisher unerkannter Diabetes festgestellt oder entgleist der Blutzucker, wird das diabetologische Team hinzugezogen. Dazu gehört Diabetesberaterin Anne Richter.
IMAGE: Typ 1 und Typ 2 Diabetes - wo ist der Unterschied?
RICHTER: Wir unterscheiden beim Diabetes Typ 1 und Typ 2. Während im ersten Fall ein Insulinmangel vorliegt, sprechen wir im zweiten Fall - umgangssprachlich auch als „Altersdiabetes“ bezeichnet - von Insulinresistenz. Beide Typen können grundsätzlich aber in jedem Alter auftreten. Die Veranlagung zu Typ 2 ist zu einem hohen Prozentsatz vererbt. Wir messen bei unseren Patienten täglich den Blutzucker und achten dabei vor allem auf den Langzeitwert HbA1c. Das Hämoglobin, das von den roten Blutkörperchen transportiert wird, geht mit dem im Blut gelösten Zucker eine chemische Verbindung ein. Je stärker und je länger der Blutzuckerspiegel erhöht ist, desto mehr Hämoglobin kann sich mit Zucker verbinden und desto höher wird letztlich der HbA1c. Wir erkennen an diesem Wert die Blutzuckereinstellung der letzten acht bis zwölf Wochen. Meine Aufgabe ist es, Patienten und ihre Angehörigen zu beraten, sie zu schulen und individuell anzuleiten, gerade dann, wenn dieser Wert nicht gut ist. Entscheidend sind die Lebensgewohnheiten des Patienten sowie die Alltagstauglichkeit der Therapie.
IMAGE: In der Regel findet die Glukosemessung mit einem kleinen Einstich in die Haut statt, beispielsweise am Finger. Aber die Zukunft könnte für Diabetiker anders aussehen?
RICHTER: Das ist richtig. Schon heute gibt es Sensoren, die auf die Haut geklebt werden und ihre Messdaten ans Handy übermitteln. Dabei ist ein regelmäßiger Austausch der Sensoren nötig. Es gibt auch eine Chiptechnologie mit einem Messverfahren namens optische Absorptionsspektroskopie. Dabei schickt ein Laser Licht bestimmter Wellenlängen in den Bereich unter die Haut, in dem sich Zwischenzellflüssigkeit befindet. Wenn das Licht zurück zum Sensor reflektiert wird, meldet es die Konzentration von Gewebezucker. Ein Algorithmus errechnet dann den Blutzuckerspiegel der Person. Das Projekt wurde in den USA unter dem verstorbenen Steve Jobs begonnen. Leider bekommen in Deutschland bisher nur Diabetiker Typ 1 das Messgerät. Tatsächlich könnte der Piks für Diabetiker in Zukunft überflüssig sein.
IMAGE: Warum ist Zucker im Blut überhaupt schädlich?
RICHTER: Zu viel Glukose im Blut verursacht Entzündungsprozesse, in deren Folge Botenstoffe entstehen, welche Schäden an Nerven und Gefäßen verursachen. Es kommt vermehrt zu Ablagerungen an den Innenwänden der Gefäße. Die Gewebestrukturen verkleben förmlich und sind dadurch nicht mehr so flexibel wie die stoffwechselgesunder Menschen. Das führt dazu, dass die Durchblutung sowie die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung nicht mehr optimal verlaufen. Auch die Wundheilung ist gestört. Das Infektionsrisiko steigt. Ebenso ist die Kommunikation zwischen den Nervenzellen sowie die Funktion der Nervenzellen selbst beeinträchtigt.
IMAGE: Welche therapeutische Möglichkeiten gibt es?
RICHTER: Der Umgang mit Medikamenten, Diabetesnotfällen, Ernährung und Sport sind wichtige Bausteine einer Therapie. Ziel ist es, dass der Patient diese zuhause selbstständig durchführen kann. Grundsätzlich ist die Therapie absolut individuell und vor allem muss sie alltagstauglich sein. Grundlage jeder Diabetes-Behandlung ist ein angepasster Lebensstil. Dazu gehören: körperliche Aktivität, Verzicht aufs Rauchen und eine ausgewogene Ernährung. Das Stück Kuchen muss sich auch ein Diabetiker nicht verkneifen, aber das Reduzieren von Übergewicht wirkt sich positiv auf den Blutzucker aus. Menschen mit Diabetes können prinzipiell alles essen, eine spezielle Diabetes-Diät gibt es nicht. Zucker ist nicht tabu, auch spezielle Lebensmittel sind nicht nötig. Aber es gibt Empfehlungen und Wissen, welche Ernährung nicht nur für Diabetiker sinnvoll ist.
IMAGE: Wie sieht denn die gesunde Ernährung aus?
RICHTER: Dazu gehören zwei Portionen Obst und drei Portionen Gemüse - jeden Tag. Eine Portion entspricht dabei etwa einer Handvoll. Das Obst sollte als Nachtisch zur Hauptmahlzeit verzehrt werden, um es direkt mit Insulin abdecken zu können. Beim Fett kommt es auf die Zusammensetzung an. Anstatt auf gesättigte Fettsäuren, die vor allem in tierischen Lebensmitteln wie Fleisch, Milch und Käse stecken, lieber auf ungesättigte Fette setzen. Diese sind etwa in pflanzlichen Produkten wie Olivenöl enthalten und können dazu beitragen, den Anteil an LDL-Cholesterin im Blut zu senken. Getreideprodukte aus Vollkorn sind gut. Bei stärker verarbeiteten Lebensmitteln gehen die Kohlenhydrate meist rascher ins Blut über. Kartoffelbrei oder Pommes Frites haben deshalb einen höheren glykämischen Wert als Pellkartoffeln. Wasser, Tee und Kaffee sollten die Getränke der Wahl sein. Alkohol ist nur in Maßen erlaubt. Grundsätzlich gilt die mediterrane Küche mit vielen Vitaminen und Ballaststoffen als besonders gut geeignet. Frischer Fisch und mageres Fleisch - optimal aus guter Herkunft - sowie Salzarmut sind gesund.
IMAGE: Welche Folgeschäden kann Diabetes hervorrufen?
RICHTER: Eine schlechte Blutzuckereinstellung begünstigt Folgeerkrankungen wie Nieren- (diabetische Nephropathie) und Nervenschäden (diabetische Polyneuropathie, diabetische Retinopathie), das diabetische Fußsyndrom sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein hoher Zuckergehalt im Blut schädigt kleine und große Blutgefäße (Mikro- und Makroangiopathie) sowie die Nerven. Es drohen Schlaganfälle, Herzinfarkte, Amputationen von Zehen, Füßen oder Beinen oder die Dialyse, um die fehlende Entgiftungsfunktion der Nieren auszugleichen. Gerade bei älteren Patienten muss berücksichtigt werden, dass sie sich oft nicht oder nur wenig bewegen. Wichtig ist, eine Unterzuckerung zu vermeiden. Wir wissen heute, dass Unterzuckerung gerade bei älteren Diabetespatienten das Risiko für eine Demenz ganz erheblich erhöht. Auch das Risiko für Infekte ist bei Diabetespatienten deutlich erhöht. Deshalb ist es sehr wichtig, sich selbst genau zu beobachten und jede Wunde von einem Arzt anschauen zu lassen. Ein ganz besonderes Augenmerk sollte der Patient auf seine Füße legen. Der „diabetische Fuß“ ist für die Hälfte aller Krankenhaustage bei Diabetikern verantwortlich. In Deutschland kommt es jedes Jahr zu rund 40 000 Amputationen. Und die Aussichten sind bedrückend: Die Amputation geht mit einer Ein-Jahres-Sterblichkeit (je nach Studie) von 13 bis 40 Prozent und einer Fünf-Jahres-Sterblichkeit von 39 bis 80 Prozent einher. Vorsorge für die Augen und die Nieren gehören ebenso ins Pflichtprogramm. Mit einem gut eingestellten Diabetes kann man gut leben. Zu meinen Aufgaben gehört es, dieses Wissen zu vermitteln. anja