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Gesundheit

Charta-Tisch „Pflege“: Starke Themen mit viel Empathie

Selbstbestimmtes Sterben: was ist das und was bedeutet assistierte und passive Hilfe?

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Ziel ist es, mit Hilfe der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen jedem nach seinen individuellen Bedürfnissen einen Zugang zu einer würdevollen Begleitung und Versorgung am Lebensende zu ermöglichen. Der Ambulante Hospizdienst Witten/Hattingen, Regionalgruppe Hattingen, hat in Hattingen nach dem Charta-Tisch „Handicap“, der erfolgreich einen Notfallwegweiser auf den Markt brachte, den Charta-Tisch „Pflege“ an den Start gebracht. Hier kommen Menschen zusammen, die in verschiedensten Einrichtungen mit Menschen arbeiten, die in ihrem Berufsleben immer wieder auf Menschen treffen, die schwerkrank sind und sich in der letzten Phase ihres Lebens befinden – wie lange auch immer diese sein mag.

Pflegekammer NRW: Pro und Contra
Mitarbeiter aus verschiedenen stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sitzen zusammen und berichten aus ihrem Alltag. Da bleibt das Thema Bürokratie nicht außen vor. Damit die Pflege bei Entscheidungen über ihren Beruf mit am Tisch sitzt und über die Selbstverwaltung direkten Einfluss nehmen kann, sprachen sich Berufsverbände und Politik für die Einrichtung von sogenannten Pflegekammern in den einzelnen Bundesländern aus. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat die Errichtung der Pflegekammer NRW maßgeblich mit auf den Weg gebracht. Im Sommer 2020 hat der NRW-Landtag die Pflegekammer im Heilberufsgesetz verankert, Ende 2022 gab es die konstituierende Sitzung. Der Gesetzgeber hat vor dem Hintergrund einer möglichst starken Vertretung des Berufsstandes die Mitgliedschaft in den Heilberufskammern verpflichtend ausgestaltet. Dies gilt für alle Heilberufskammern, zum Beispiel auch für die Ärztekammern oder Psychotherapeuten­kammer. Für die Pflegekammer NRW bedeutet das: alle Pflegefachpersonen mit Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen und Berufszulassungserlaubnis müssen sich in der Pflegekammer NRW anmelden. Die Einrichtung der Pflegekammern stößt allerdings bundesweit auf Kritik. So lehnen manche die Verpflichtung zu Mitgliedschaft und Beitrag ab oder vertreten die Meinung, eine Pflegekammer habe zu geringen Einfluss, um eine Verbesserung der aktuellen Situation – Stichwort Pflegenotstand und Arbeitsbedingungen – zu erreichen. Sie sei außerdem zu bürokratisch. Vorteile sehen Befürworter in der neuen Weiterbildungsordnung, in der nun Pflegefachpersonen nun entscheiden, was Pflegefachpersonen lernen sollen. Auch bei Gewalt und Diskriminierung finden die Pflegekräfte bei der Kammer einen Ansprechpartner. Aber: Neben NRW gibt es nur in Rheinland-Pfalz seit 2016 eine Pflegekammer. In neun Bundesländern gibt es aktuell keine Aktivitäten, Berlin und Brandenburg erwägen die Gründung. Zwei Pflegekammern – Schleswig-Holstein und Niedersachsen – stellten aufgrund massiver Proteste vieler Pflegefachkräfte Ende 2021 ihr Fortbestehen wieder ein. Es gab die Kammer dort von 2018 bis 2021.
Neben der Bürokratie, die vielfach weite Teile im Pflegealltag begleitet, wird am Charta-Tisch zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen auch über die Frage nach dem selbstbestimmten Sterben diskutiert. So fällt beispielsweise der Begriff vom Sterbefasten als Möglichkeit der sogenannten indirekten oder passiven Sterbehilfe. Dahinter verbirgt sich der freiwillige Verzicht von Essen und Trinken mit der Absicht des vorzeitigen Sterbens. Ein einfacher Weg ist das nicht. Bei länger bestehenden wie auch bei erst kürzlich entstandenem schweren körperlichen Leiden ohne Aussicht auf Heilung steht immer im Raum, dass einem – u. a. mit den Mitteln der modernen Palliativmedizin – noch für einige Zeit ein möglicherweise erfülltes Leben bleibt. Pflegefachpersonen, die viel mit Hochbetagten zu tun haben, erleben nicht selten, dass jemand irgendwann darüber zu reden beginnt, er wolle endlich sterben, aber bald davon nichts mehr wissen will. Der Wunsch nach dem Tod kann also auch ein Hilferuf sein. So werden nicht selten neben dem Todeswunsch plötzlich auch Wünsche nach speziellen Nahrungsmitteln geäußert. Rechtliche Hindernisse beim Sterbefasten gibt es nach der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) in Deutschland nicht. Umgekehrt würde eine Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit gegen den Willen des Sterbewilligen einen rechtswidrigen Eingriff in dessen Körpersphäre bedeuten. Doch die Situation ist für Pflegefachkräfte, für Angehörige und auch für professionelle Begleiter immer sehr schwierig. Nicht alle Begleiter können oder wollen sich diesen Sterbeprozess zumuten. Für viele Menschen ist es eben doch ein emotionaler Unterschied, einen Menschen im Sterbeprozess zu begleiten, der aufgrund seiner Krankheit verstirbt oder der aktiv am Sterbeprozess mitwirkt.
Noch komplizierter ist der assistierte Suizid. Seit dem Februar 2020 befindet sich er sich in einer Grauzone. Damals urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass „das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“. Beihilfe zum Suizid heißt, dass bei der Selbsttötung geholfen wird. Zum Beispiel, indem ein tödliches Mittel beschafft oder bereitgestellt wird. Ein entscheidendes Kennzeichen in Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe ist, dass der Patient das Medikament selbst einnehmen muss. Das Bundesverfassungsgericht hielt das Verbot, die Selbsttötung „geschäftsmäßig zu fördern“ für verfassungswidrig und hob ein entsprechendes Strafgesetz auf. Der Gesetzgeber muss die Sterbehilfe jetzt neu regeln. Zwei Initiativen für eine Neuregelung scheiterten 2023 jedoch im Bundestag.
Im Gegensatz zum assistierten Suizid verabreicht bei der aktiven Sterbehilfe jemand anderes dem Patienten ein tödlich wirkendes Mittel. Diese Art der Sterbehilfe ist in Deutschland grundsätzlich verboten.
Wichtig: Jeder hat das Recht, frei und eigen­ver­antwort­lich Fest­legungen für die letzte Lebens­phase zu treffen. Der sicherste Weg ist eine Patientenverfügung. Darin legt ein Mensch schriftlich fest, dass sie oder er in einer kritischen aussichts­losen Situation am Lebens­ende keine lebens­erhaltenden Maßnahmen wünscht, etwa Wiederbelebungs­maßnahmen, eine künst­liche Beatmung oder künst­liche Ernährung.
Der Ambulante Hospizdienst bietet eine Begleitung für unheilbar Kranke und Sterbende in ihrem Wunsch, ihre letzte Lebensphase in vertrauter Umgebung und möglichst schmerzfrei und selbstbestimmt zu verbringen. Kontakt: Silvia Kaniut, Koordination; Telefon 02324 380 930 70; mobil 0174 97 97 029 oder E-Mail AHD-Hattingen@gmx.de; Andreas Fleer, Koordination, Telefon 02324 380 930 70; mobil 0151 57 99 28 81 oder E-Mail AHD-Fleer@gmx.de
Charta-Tisch Pflege: Der Tisch richtet sich an Menschen, die in der Pflege arbeiten. Nächster geplanter Termin Donnerstag, 27. März, 15.30 Uhr, Ambulanter Hospizdienst Witten-Hattingen, Krämersdorf 3. anja

Die Charta

Die Charta begann 2007 als internationale Initiative. Im September 2010 wurde sie nach dem Ergebnis von Arbeitsgruppen und 200 Experten formuliert und veröffentlicht, getragen von der Hospizbewegung und der Palliativmedizin. Rund 3000 Institutionen und mehr als 32.000 Einzelpersonen (Stand Ende Oktober 2024) haben sie in Deutschland bereits unterzeichnet. Zu ihnen gehören auch die Bürgermeisterin von Sprockhövel, Sabine Noll, der Hattinger Bürgermeister Dirk Glaser (beide mit politischer Unterstützung der Stadtverordneten), der Landrat des EN-Kreises Olaf Schade, David Wilde, Vorstandsvorsitzender der Hattinger Wohnstätten (hwg) sowie viele weitere Unterstützer.