Beinahe jeder Mensch hatte schon eine unliebsame Begegnung mit einer Brennnessel. Vielfach als lästiges Unkraut abgetan, trägt sie für 2022 den Titel „Heilpflanze des Jahres“ – zurecht.
Dass diese alteingesessene Heilpflanze so überaus häufig vorkommt, verdankt sie den Menschen. Da, wo an Waldrändern und in Straßengräben – natürlich illegal - Gartenabfälle ablagert werden, greifen wir in die vorhandene Natur ein und bereiten den Boden für noch mehr Brennnesseln, zu Lasten der ursprünglichen weniger konkurrenzstarken Vegetation. Intensive Bodendüngung und der Zuwachs an Stickstoffen in unserer Luft sorgen darüber hinaus für überdüngte und damit brennnesselfreundliche Böden.
Speise, Faser und medizinischer Helfer
Bereits seit der Antike wird die Große Brennnessel als vielseitige Heilpflanze geschätzt. Im Mittelalter gehörte sie in Europa zu den bedeutendsten Heilpflanzen gegen rheumatische Erkrankungen und Asthma. Die Durchblutung schmerzhafter rheumatischer Körperteile förderten die Menschen damals mit einer „Urtikation“: Die betroffenen Stellen der Kranken wurden mit langen Brennnesselsträngen ausgepeitscht. So schlimm wie es sich anhört, diese Therapie war sehr oft sogar erfolgreich. Der Arzt Paracelsus verfeinerte vor etwa 500 Jahren die Behandlungsmethoden.
Wenn ältere Leute an die Notzeiten während des 2. Weltkriegs zurückdenken, dann gehört sicher das Brennnesselschneiden in den Straßengräben zu den wenigen positiven Erinnerungen. Die Mutter kochte daraus ein „Brennnesselgemüse“ - ein leckeres Essen, an dem sich die Leute mal richtig sattessen konnten.
Aus Brennnesselfasern haben unsere Vorfahren bis zur Einführung der billigeren Baumwolle hochwertige und strapazierfähige Stoffe und stabile Stricke und Netze hergestellt. Gut, dass das alte Wissen um die Nesseltuchverarbeitung nicht völlig verloren gegangen ist, denn heute reagieren manche Menschen allergisch auf Baumwolltextilien. Deshalb werden wieder vermehrt Hanf-, Flachs- und Brennnesselpflanzen angebaut, um aus ihren Fasern allergiefreie Textilien herstellen zu können.
Heutzutage ist die „zweihäusige Brennende“, so die deutsche Übersetzung ihres wissenschaftlichen Namens Urtica dioica, unter anderem wegen ihrer entwässernden Wirkung hochgeschätzt. Eingenommen als Tee oder Saft durchspült die Große Brennnessel die Harnwege gegen Keime und Bakterien und hilft so auch bei Nierenproblemen. Die Nachfrage nach Brennnessel-Heilpflanzen ist aktuell so groß, dass unser so brennnesselreiches Land noch etwa 1000 t jährlich importieren muss.
Vitaminspender im Salat
Junge Brennnesselblätter gelten, solange sie noch ohne Brennwirkung sind, auch aktuell wieder als gesundes und wohlschmeckendes Gemüse und im Salat als vitaminhaltige Zutat. Der Vitamingehalt ist deutlich höher als der eines Kopfsalates. Sogar Feinschmeckerlokale bieten mitunter gesunde und zugleich geschmackvolle Brennnesselsüppchen an. Selbst die im August/September heranreifenden Samenkügelchen bereichern jeden Salatteller. Es kommt auf einen Versuch an! dx